Schatten über Oxford
eine Kurznachricht über die gerichtliche Untersuchung erschienen. Demnach hatte Elinor Marlyn den fatalen Fehler begangen, den Motor ihres kleinen Lieferwagens zu starten, während das Auto hoch in der an das Haus angrenzenden Garage stand. Da das Garagentor geschlossen war und somit kein Luftaustausch stattfand, starb Miss Elinor Marlyn an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Hinweise auf eine Selbsttötungsabsicht gab es nicht. In der dunklen, mondlosen Nacht hörte niemand den Motor, der mindestens ein bis zwei Stunden gelaufen sein musste. Die Leiche wurde erst am folgenden Tag gefunden, als Mrs Violet Watts zu ihren morgendlichen Arbeiten auf High Corner in der Armitage Road eintraf.
Der Artikel gipfelte in der Feststellung, dass Frauen – selbst wenn es sich um eine so respektierte und praktisch veranlagte Frau wie Miss Marlyn handelte – mit dem Betrieb von technischen Apparaten überfordert waren.
Na logisch, dachte Kate. Frauen sollten ihre hübschen Köpfe nicht mit zu anspruchsvollen Dingen belasten, sondern lieber in der Küche bleiben, wo sie hingehörten.
Wenn man einmal von der Hysterie und dem Klatsch absah, schienen die Fakten zu stimmen. Lediglich eine Frage blieb offen: Warum um alles in der Welt hatte Miss Marlyn den Motor in der geschlossenen Garage gestartet? Allerdings war die Nacht vermutlich kalt gewesen, und der Lieferwagen hatte sicher keine Heizung gehabt. Und vielleicht hatte Miss Marlyn wirklich nicht gewusst, dass die Auspuffgase eines Ottomotors tödlich sind.
So ganz überzeugt bin ich trotzdem nicht, dachte Kate. Aber ich weiß nicht, wie ich noch mehr über den Fall herausfinden könnte. Zumindest jetzt noch nicht.
Und dann fiel ihr ein, dass es sich um dieselbe Garage handeln musste, in der sie ihr Auto parkte.
14
Shawn Riley wohnte in einem kleinen Reihenhaus in einer der engen Straßen hinter dem Einkaufszentrum.
»Kommen Sie rein«, sagte er. »Ich mache uns eine Tasse Tee.«
Er führte Kate in ein bescheidenes Zimmer mit ordentlich polierten Möbeln und der Sorte Zierrat, den sie unwillkürlich mit Ferien am Meer in Verbindung brachte. An den Wänden hingen Fotos von Kindern aller Altersklassen. Bei näherem Hinsehen entpuppten sie sich als Bilder von drei Kindern in sämtlichen Stadien ihrer Entwicklung.
»Ich habe meine Frau zu ihrer Schwester geschickt«, erklärte Shawn. »Ich dachte, so können wir in aller Ruhe reden.«
»Störe ich Sie nicht bei der Arbeit?«
»Ich bin seit einem Jahr Rentner und freue mich über etwas Abwechslung neben den Aufgaben, die mir meine Frau jeden Morgen aufschreibt.«
Shawn war ein netter, einfacher Mann in kariertem Hemd und blauer Strickjacke, der eine Brille mit Gleitsichtgläsern und karierte Pantoffeln trug. Er war ein wenig übergewichtig und sein Haar lichtete sich, doch er machte einen hervorragenden Tee. Kate musste daran denken, dass Christopher Barnes diesem Mann vermutlich sehr ähnlich gewesen wäre, wenn er überlebt hätte.
»Ich hatte gehofft, dass Sie mir etwas über Christopher Barnes erzählen können«, begann Kate, nachdem sie ein Schokoladenplätzchen geknabbert und an ihrem Tee genippt hatten.
»Was soll es da groß zu erzählen geben? Wir waren einfach nur ganz normale Jungen. Nichts Besonderes. Das einzig Außergewöhnliche war Christophers Tod. Und selbst der war in dieser Zeit nichts Unübliches. In dieser Gegend wurden viele Kinder Opfer von Verkehrsunfällen.«
»Den Bericht über seinen Tod habe ich in der Oxford Mail gelesen. Aber vielleicht können Sie mir ja mehr darüber erzählen – zum Beispiel über die Hintergründe.«
»Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie sich dafür interessieren«, bemerkte er. »Möchten Sie vielleicht noch einen Schokoladenkeks?«
»Danke«, sagte Kate, die kaum jemals einen Schokoladenkeks ablehnte.
»Ich weiß eigentlich nur, was man damals so erzählte. Die beiden Kinder liefen auf die Straße, und Danny Watts, der gerade mit dem Lieferwagen vorbeikam, konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen. Susie kam mit einem gebrochenen Bein und ein paar Schnittwunden davon, aber Christophers Kopfverletzungen waren so schwer, dass er es nicht überlebte.«
»Kannten Sie die beiden schon in London, ehe Sie evakuiert wurden?«
»Nein, ich bin hier geboren. Ein Einheimischer. Dass wir Freunde wurden, war eher ungewöhnlich. Es gab eine Art ungeschriebenes Gesetz, dass die Einheimischen und die Flüchtlingskinder nichts miteinander zu tun hatten. Aber Chris und ich waren
Weitere Kostenlose Bücher