Schatten über Oxford
ich etwas sehen. An der Wand steht eine Art polierter Schrank mit Tellern auf Regalen. Betsy liegt auf dem obersten Regal. Leise ziehe ich einen Stuhl heran, steige hinauf und hole Betsy herunter. In ihrer Pfote ist das Loch von meinem Messer, aber es sind nicht zu viele Sägespäne herausgefallen. Sicher macht es Susie nichts aus. Ich schaue nach, ob auch mein Messer dort ist, aber ich sehe es nicht. Sicher ist es noch immer in ihrer Jackentasche. Bestimmt hat sie sich schon immer so ein Messer gewünscht und will es behalten.
Ich bringe Betsy nach oben und lege sie auf den Treppenabsatz. Dann gehe ich zurück in die Küche, weil sie dort immer ihre Jacke aufhängt. An den Haken hinter der Tür. Ich muss vorsichtig sein, weil hier kein Licht ist, aber ich finde die Jacke. Das Taschenmesser ist noch immer in der linken Tasche, und ich nehme es heraus. Dann denke ich an das Essen, das sie im Esszimmer auf den Tellern gelassen haben. Es ist unser Essen, und sie hat es gestohlen, denke ich und gehe noch einmal in das Zimmer.
Sie haben Fleisch zerschnitten und einfach auf dem Teller liegen gelassen. Und dann gibt es noch winzige Speckwürfel, die sie ganz knusprig gebraten sind. Mama kann es nicht ausstehen, wenn man Essen auf dem Teller übrig lässt. Sie würde verrückt werden, wenn sie die Verschwendung hier sehen könnte.
Und dann fange ich an zu essen. Ich esse die knusprigen Speckwürfel. Noch nie im Leben habe ich so etwas Leckeres probiert. Danach stecke ich mir Fleischscheiben in den Mund. Und dann denke ich an Susie. Sie würde sich bestimmt auch darüber freuen. Außerdem hat sie heute kein richtiges Abendessen bekommen, weil Miss Marlyn böse mit ihr war.
Ich habe mein Taschentuch dabei. Es ist nicht sauber, aber das macht nichts. Ich packe die restlichen Speckwürfel und ein paar Scheiben Fleisch hinein. Auch ein paar Mixed Pickles lege ich dazu. Die Röstkartoffeln sind genau so, wie wir sie gern mögen. Auch davon nehme ich welche mit. Ziemlich viele sogar.
In einer Schale auf einem kleinen Tisch stehen Früchte und Nüsse. Ich nehme ein paar Nüsse, zwei Äpfel und eine Birne. Susie mag keine Birnen, deshalb nehme ich nur eine mit. Jetzt ist es genug. Mehr kann ich auch nicht tragen. Und gerade, als ich aus dem Esszimmer komme und die Treppe erreicht habe, höre ich, wie die Wohnzimmertür aufgeht. Sie kommt in den Flur. Ich habe keine Zeit mehr, etwas zu verstecken. Sie macht das Licht an und sieht mich.
»Ach, Christopher!«, sagt sie. Ich kann hören, dass sie überrascht ist.
Sie sieht das Taschentuch voller Essen und fragt: »Was hast du denn da?«
Ich sage gar nichts.
»Du hast also gestohlen«, sagt sie. »Du bist ein kleiner, gemeiner Dieb.«
»Es ist unser Essen«, sage ich. »Unsere Rationen. Sie haben sie gestohlen. Ich nehme mir nur, was uns gehört. Ich bin kein Dieb.«
»Du irrst dich, Christopher«, sagt sie. »Diese Lebensmittel haben nichts mit euren Rationen zu tun. Und was du da gestohlen hast, hat mich viel Geld gekostet. Was sagst du dazu?«
»Ich sage, dass Sie eine Diebin sind. Und außerdem auch eine Spionin, glaube ich.«
»Du hast also mein Abendessen gesehen und etwas davon gestohlen«, sagt sie. »Was hast du sonst noch gesehen, Christopher?« Sie lacht nicht mehr. Sie sieht plötzlich sehr böse aus, und ich fange an Angst zu bekommen.
»Nun, Christopher?« Sie packt mich mit ihren knochigen Fingern an den Haaren und zieht sehr fest.
»Loslassen!«, schreie ich. Dann fällt mir ein, dass Susie schläft, und ich höre auf zu schreien.
»Ich will nur wissen, was du gesehen hast«, sagt sie.
»Ich habe Sie und Danny Watts gesehen. Ich habe Sie auch gehört«, sage ich. »Ich weiß genau, was Sie getan haben.«
»Ach, das weißt du?« Jetzt klingt sie sehr gemein. »Bestimmt wirst du jetzt herumlaufen und es allen Leuten erzählen.«
»Ich sage es meinem Papa«, sage ich. Dann fällt mir ein, dass Papa nie mehr wiederkommt. »Ich sage es Onkel Alan«, sage ich. »Er war Soldat und weiß, wie man Leute erschießt.«
Danny Watts hat uns gehört und kommt jetzt auch aus dem Wohnzimmer.
»Was ist hier los?«, fragt er.
»Ich habe einen kleinen Dieb erwischt«, sagt Miss Marlyn. »Er behauptet zu wissen, worauf wir aus sind.«
»Er lügt«, sagt Danny.
»Ich fürchte nein«, sagt Miss Marlyn.
»Er versteht es doch nicht«, sagt Danny. »Er ist nur ein Kind.«
»Vielleicht hast du Recht«, sagt Miss Marlyn. Sie hat die ganze Zeit mein Haar festgehalten, aber
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