Schatten über Oxford
Zeit kaum noch mit Schlaf«, antwortete er.
Das nächste Problem bestand für Kate darin, George zu erklären, was sie vorhatte. Einen Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken, ihm gar nichts zu sagen. Wenn sie und Roz losfuhren, nachdem er zur Arbeit gegangen war, konnten sie gut und gern wieder zurück sein, ehe er abends heimkam. Sie könnte sagen, dass sie den Tag mit ihrer Mutter verbringen wollte. Immerhin war das keine Lüge. Und außerdem etwas, was eine Tochter sicherlich gern einmal tat.
Trotzdem bedeutete es eine Täuschung, die er möglicherweise sogar durchschaute. Und wenn sie erst einmal mit Halbwahrheiten anfing, war es bis zu den Lügen nicht mehr weit; ihre Beziehung würde in Unwahrheiten und gegenseitigen Beschuldigungen eintauchen – und das hatte Kate gewiss nicht vorgehabt, als sie zu George nach High Corner gezogen war.
Dabei hatte alles so wunderbar angefangen. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, endlich den Mann gefunden zu haben, mit dem sie den Rest ihres Lebens glücklich sein könnte. Vielleicht ging es ja noch. Vielleicht konnten sie die Klippe gemeinsam umschiffen.
An diesem Abend suchte Kate das Gespräch mit George. Nicht sofort, als er von der Arbeit heimgekommen war, sondern erst nachdem sie ihm ein Glas Wein eingeschenkt und seinem Bericht von den Ereignissen des Tages gelauscht hatte. Sie wartete noch ab, bis sie am Tisch saßen und sie ihm ein Abendessen servierte, das zwar gut war, aber nicht so überragend, dass er es für einen Ausdruck ihres schlechten Gewissens hätte halten können. Immerhin galt ein extravagantes Gourmetmenü als das weibliche Gegenstück zum Rosenstrauß der Männer.
»Ich habe Alan Barnes gefunden«, eröffnete sie ihm schließlich.
»Den Onkel der Kinder.« Zumindest gab George nicht vor, nicht zu wissen, von wem sie da sprach. »Wann besuchst du ihn?« Seine Stimme klang flach und ausdruckslos. Er gestattete sich nicht, seine Gefühle zu zeigen, doch Kate hatte den Verdacht, dass er unter der glatten Oberfläche sehr wütend war – und zwar auf sie.
»Er wohnt in West London. Roz und ich fahren morgen hin. Ich hoffe, dass er mir den Rest der Geschichte erzählen kann.«
»Und dann?«
Gute Frage! »Ich lege die Sache ad acta und kümmere mich um mein nächstes Buch.«
»Trotzdem bist du wild entschlossen, vorher meine Familie möglichst tief in den Schmutz zu ziehen.«
»Dann gehst du also davon aus, dass deine Familie etwas Unrechtes getan hat?«
»Ich gehe davon aus, dass du genau das findest, wonach du suchst.«
»Aber ich kann doch die Beweise nicht einfach unter den Tisch fallen lassen und so tun, als wäre nichts geschehen!«
»Du meinst wie Sam und ich?«
Eine Dose unter den Bodendielen, die andere ganz hinten in einem nie benutzten Schrank. Zumindest hatten die beiden sie nicht weggeworfen.
»Vielleicht wäre es ehrlicher gewesen, wenn ihr Christophers Schätze weggeworfen hättet.«
»Sam schlug es vor, aber ich fand es nicht richtig«, erwiderte George. »Wir konnten nicht einfach so tun, als hätte der Junge nie existiert.«
»Aber er war tot. Und über die Jahre hinweg habt ihr doch sowieso immer wieder geheuchelt.«
»Ich weiß, dass er tot ist. Aber ich wollte nicht die letzten Zeichen seines kurzen Lebens zerstören. Er hat schließlich nichts anderes zurückgelassen. Natürlich hat Sam Recht gehabt. Wir hätten den ganzen Plunder ins Feuer werfen und ihn loswerden sollen.«
»Weil ihr nicht wolltet, dass jemand das Tagebuch liest nicht wahr?«
»Damals konnte ich nicht wissen, dass du es finden und die ganze Geschichte aufbauschen würdest. Du hast Elinor zu einem wahren Monster werden lassen.«
»Das war sie schließlich auch.« Kaum hatte Kate den Satz ausgesprochen, als ihr klar wurde, dass sie zu weit gegangen war.
George legte die Gabel neben den Teller, und Kate folgte seinem Beispiel. Der Appetit auf Linguini in Zitronensoße war ihr vergangen.
»Sie war das Produkt ihrer Zeit und ihrer sozialen Herkunft«, sagte George.
»Entschuldige bitte, ich habe mich hinreißen lassen.« Dabei besaß Kate noch nicht einmal Emmas Rechtfertigung, zu viel getrunken zu haben.
»Genau da liegt dein Problem. Du kannst Dinge einfach nicht auf sich beruhen lassen.«
»So bin ich nun einmal.«
»Und was willst du tun, wenn du ein Verbrechen aufdeckst? Etwa zur Polizei gehen?«, fragte er.
»Das hängt von den Umständen ab.«
»Ich dachte, dir ginge es ausschließlich ums Prinzip, ohne Ansehen der
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