Schatten über Oxford
gestorben.«
»Na, so ein Pech!«, erklärte Shawn mitfühlend.
»Das finde ich auch.«
Die Wegstrecke von Shawns Haus nach High Corner führte ganz in der Nähe von Naomi Kings Wohnung vorbei. Einem Impuls folgend bog Kate an der kleinen Abzweigung ab, die zu dem Haus führte. Plötzlich kam ihr eine verwegene Idee.
Bitte, lieber Gott, lass Joan Angers noch dort sein.
Vor dem Haus parkte ein silberner Ford Fiesta – genau die Art Auto, die eine Joan Angers fahren würde, dachte Kate. Sie klingelte.
Bitte, bitte, lass mich ein einziges Mal Glück in dieser Angelegenheit haben.
Die Tür wurde geöffnet.
»Oh, hallo! Sie sind doch Miss Ivory, wenn ich nicht irre?«
»Richtig. Haben Sie vielleicht noch Naomis Adressbuch?« sprudelte Kate hastig und nicht sonderlich höflich hervor. Doch für Floskeln wie »Guten Morgen, wie geht es Ihnen?« war es jetzt ohnehin zu spät.
»Ihr Adressbuch? Zumindest hatte ich es. Ich brauchte es um die Leute zu finden, die ich über ihren Tod informieren wollte. Ihre war übrigens nicht dabei.«
»Gut möglich. Ich wohne ja sozusagen um die Ecke. Aber haben Sie das Buch noch?«
Vielleicht war es Kates verzweifelte Bitte, die sie anrührte, jedenfalls ließ Joan Angers sich erweichen. »Kommen Sie einen Moment rein. Ich sehe einmal nach.«
Kate blieb in dem traurig wirkenden, kleinen Flur stehen. Die meisten Plastiktüten waren fort, und der Eingangsbereich wirkte verlassener denn je. Falls Joan das Adressbuch nicht fand, war Kate durchaus bereit, die verbliebenen Mülltüten zu durchsuchen.
»Hier ist es. Wozu brauchen Sie es?«
»Es könnte sein, dass sie die neue Adresse von jemandem hatte, mit dem ich unbedingt Kontakt aufnehmen möchte.« Kate musste sich beherrschen, Joan das kleine braune Lederbüchlein nicht aus der Hand zu reißen.
»Dann schauen Sie eben kurz nach, ob sie drinsteht.«
Kate blätterte zum Buchstaben B. Ja! Dort stand Alan Barnes. Die Adresse in Peckham unmittelbar unter seinem Namen war durchgestrichen. Darunter stand eine Anschrift in Forest Hill, auch in Süd-London ,die ebenfalls veraltet zu sein schien. Doch als sie schließlich umblätterte, entdeckte sie eine Adresse in West London mit einer Telefonnummer.
Kate schrieb sie auf, ehe Joan Angers ihre Meinung ändern konnte, und gab ihr dann das kleine Lederbuch zurück.
»Vielen, vielen Dank!« Sie strahlte eine solche Begeisterung aus, dass Joan sie verblüfft betrachtete. »Ich muss weiter« verkündete Kate, drehte sich um und rannte fröhlich die Straße in Richtung High Corner hinunter.
Sie musste sich mit Alan Barnes in Verbindung setzen, ehe ihm etwas zustieß und sie wieder einmal zu spät kam.
Als Erstes rief sie Roz an.
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht«, stieß sie atemlos hervor.
»Ich höre.«
»Die schlechte Nachricht ist, dass ich einen Brief aus der Reckitt Street bekommen habe. Alan Barnes ist dort unbekannt.« Wie enttäuscht sie darüber gewesen war! Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr.
»Und die gute Nachricht?«
»Ich habe seine Adresse und Telefonnummer in Naomi Kings Adressbuch gefunden.«
»Naomi King? Ist sie nicht kürzlich gestorben?«
»Ihre Nichte hatte das Adressbuch verwahrt und mir erlaubt, die Anschrift nachzuschlagen. Hoffentlich ist es wirklich die aktuelle und nicht wieder eine Sackgasse.«
»Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.«
»Stimmt. Aber jetzt brauche ich deinen Rat. Soll ich lieber anrufen oder schreiben?«
Roz dachte einen Moment nach. »Vielleicht wäre ein Brief besser. Er überrumpelt einen nicht so.«
»Ich habe einfach große Angst, dass er umfällt und stirbt, ehe ich an ihn herankomme.«
»Er dürfte jetzt etwa Mitte achtzig sein.«
»Und? Was soll ich tun?«
»Schreiben. Und zwar jetzt sofort. Wenn du innerhalb von zwei, drei Tagen keine Antwort hast, rufst du an. Wenigstens bekommt er dann nicht gleich einen Herzanfall vor lauter Überraschung.«
»Einverstanden. Wahrscheinlich hast du Recht. Trotzdem hatte ich gehofft, du würdest sagen, ich soll anrufen.«
»Warum fragst du mich dann um Rat?«
»Damit du mir sagen kannst, dass ich mich geirrt haben.«
»Was hast du da?«, fragte George neugierig.
»Einen Brief.«
»Ja, das sehe ich auch. Ich frage bloß, weil er dich mehr zu interessieren scheint als deine restliche Post. Und Reklame ist es auch nicht.«
»Nein, Reklame ist es wirklich nicht. Es ist ein persönlicher Brief.« Kate war es nicht gewöhnt, nach ihrer
Weitere Kostenlose Bücher