Schatten über Sanssouci
Cembalospiel
erhält. Die Strenge der Eltern zwingt uns dazu, über mehrere Ecken heimlich zu
korrespondieren. Sie verstehen?«
»Ich verstehe. Aber
soll ich das auch glauben?« Quantz kam die Begründung fadenscheinig vor. Wie
eine aus dem Hut gezauberte Ausrede, die auch noch das Klischee vom stets auf
Pfaden der Liebe wandelnden Franzosen bediente.
»Wie gesagt, das
müssen Sie selbst wissen. Aber ich rate Ihnen dringend, mehr über das
herauszufinden, was die Musiker in Berlin treiben, wenn Sie Gründe haben zu
glauben, dass man dort eine Intrige gegen Sie spinnt. Wenn ich etwas darüber
wüsste, würde ich es Ihnen sagen, seien Sie gewiss. Und ich sehe Ihrem Gesicht
an, dass Sie mir trauen. Und bevor Sie auf einen anderen Gedanken kommen,
verrate ich Ihnen noch ein Geheimnis.«
»Ich bin gespannt.«
La Mettrie gelang es
nicht, ein ernstes Gesicht zu machen. »Ich verrate Ihnen, wie Sie sich bei mir
für meine Hilfe revanchieren können. Leider habe ich mein Salär des Königs von
diesem Monat … sagen wir, in einige unvernünftige Spiele investiert,
verloren und für meinen Wundertrank ausgegeben.«
»Wollen Sie Geld?«
La Mettrie hob
theatralisch die Hände, als habe er vor, Quantz zu umarmen. »Aber nein, mein
Freund. Das wäre doch zu profan.« Er sah sich um. Die Straßen begannen sich
wieder zu füllen. Die Parade war zu Ende.
La Mettrie legte
Quantz die Hand auf die Schulter und schob ihn sanft voran. »Gehen wir in die
›Goldene Krone‹. Und setzen wir dort unsere Gedanken fort. Hinter dem
Schankraum gibt es ein Separee, das ich oft benutze. Auch mit weiblicher
Gesellschaft, wenn Sie wissen, was ich meine. Aber heute reicht mir ein
Mittagessen – auf Ihre Kosten natürlich.«
20
Wenn
Andreas den Kopf bewegte, rieb seine Nase an einem stinkenden Sack, den man ihm
übergestülpt hatte. Das Atmen fiel ihm schwer. Er war gefesselt, und etwas
Schweres lag auf seiner Brust. Das unruhige Ruckeln und das Geräusch von
Pferdehufen sagten ihm, dass er sich auf einem Fuhrwerk befand.
Plötzlich blieb das
Gefährt stehen. Das Gewicht verschwand. Man packte ihn und stellte ihn auf den
Boden. Seine Beine waren lahm. Tausend Ameisen schienen darin zu krabbeln, und
Andreas stürzte mehrmals, als man ihn vorwärtstrieb. Helligkeit drang durch den
Leinenstoff des Beutels über seinem Kopf, doch mehr erkannte er nicht. Der
Untergrund war steinig. Gras strich an seinen Beinen, der Boden wurde weich.
Soweit Andreas es
unter dem Sack wahrnehmen konnte, veränderten sich auch die Geräusche um ihn
herum. Es wurde stiller. Ein Vogel flatterte schimpfend davon. Da wurde Andreas
klar, wo er sich befand: in einem Wald.
»Bleib stehen«,
sagte eine raue Stimme. »Hier kannst du pinkeln, wenn du musst. Aber beeil
dich. Gleich fahren wir weiter.« Andreas’ Fesseln lösten sich.
Etwas später wurde
Andreas wieder zurück zu dem Fuhrwerk geführt. Man verschnürte ihn sorgfältig,
legte wieder Dinge auf ihn – Decken oder Strohballen. Sie waren weich, aber so
schwer, dass sich Andreas nicht rühren konnte.
Vorn schwang ein
Mann die Peitsche, es knallte, und das Fuhrwerk holperte weiter. Erst nach
langer Zeit hielten sie wieder an – umgeben von Stimmengewirr und gebellten
Befehlen. Stimmen von Soldaten.
Es war die typische
Geräuschkulisse, wie sie an einer Stadtmauer herrschte. Sie hatten eine lange
Reise gemacht, also waren sie wohl an den Toren von Berlin. Andreas wusste,
dass jeder, der in die Stadt kam, akzisepflichtig war und kontrolliert wurde.
Das konnte eine Möglichkeit sein, befreit zu werden!
Er versuchte
verzweifelt, auf sich aufmerksam zu machen. Doch die Fesseln saßen fest, genau
wie der Knebel in seinem Mund.
Es war leicht, sich
vorzustellen, was draußen um das Fuhrwerk herum geschah. Die Soldaten
verlangten Auskunft über die geladenen Waren, trugen sie in eine Liste ein und
kassierten dafür eine Steuer. Oft bildeten sich vor den Toren lange Schlangen,
weil die Abfertigung so viel Zeit brauchte. Wenn sehr viel los war, nahmen es
die Soldaten manchmal nicht so ganz genau, verließen sich auf die Auskunft des
Fuhrmannes und auf den Augenschein. Und ein Wagen mit Strohballen oder alten
Lumpen war nichts Besonderes.
Sie entdeckten
Andreas nicht. Die Pferde zogen an. Die Hufe klapperten über hartes Pflaster.
Mauern warfen den Schall zurück. Sie bewegten sich wohl durch eine enge Gasse
oder einen Hof. Wieder kam das Fuhrwerk zum Stehen, und Andreas wurde unter den
Strohballen hervorgezogen.
Weitere Kostenlose Bücher