Schatten über Sanssouci
noch den Abtritt aufsuchen. Haltet mir den Platz frei.«
»Leg Er seinen Hut
hin«, sagte Schulze, »dann weiß jeder Bescheid. Die Gelegenheit ist im Hof.«
Kilian verließ den
Gastraum und folgte dem Gang nach hinten. Der Abort war ein winziges Holzhäuschen
im Hof, das man über einer Grube in der Ecke errichtet hatte. Man setzte sich
auf ein Brett mit einem Loch von zwei Handspannen Durchmesser.
Doch Kilian hatte
nicht die Absicht, dort hineinzugehen. Er blieb im Hof stehen und lauschte. Die
Geräuschkulisse aus dem Gastraum reichte nicht bis hierher, aber dafür hörte er
La Mettries schneidende Stimme. Jemand näherte sich dem Hof vom Flur her. Es
war die Wirtin. Sie trug eine Flasche Rotwein und zwei Gläser unter dem Arm.
Kilian unterdrückte
einen Fluch. Jetzt musste er sich doch auf dem Abort verstecken, wo es
unerträglich stank.
Er betrat den
Holzverschlag, zog die Tür hinter sich zu und atmete nur durch den Mund. Er
hörte, wie Liese die Treppe auf der anderen Seite des Hofes erklomm und die
Holzgalerie entlangging, die sich über die Länge des ganzen ersten Stocks
erstreckte. Dort oben war also das Separee.
Kilian wartete, bis
die Wirtsfrau wieder herunterkam, und verließ den Abort.
Unter der Galerie
waren Holzkisten und Fässer aufgetürmt. Er kauerte sich dahinter und lauschte.
»Eine Verschwörung,
Monsieur!«, rief der Franzose gerade. »Gegen den König …? Bedenken Sie … Feinde.«
Quantz’ tiefere
Stimme antwortete etwas Unverständliches, und dann legte der Franzose wieder
los: »Dann müssen Sie sich über Ihre eigenen Feinde klar werden, Monsieur. Ich
gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, dass es sehr viele sein können. Bei dem
Salär, das Sie beziehen, besitzen Sie eine große Menge Neider … Aber wie
heißt es so schön? Viel Feind, viel Ehr …«
La Mettrie lachte,
und dann redete er immer lauter wie ein Wasserfall, doch er wechselte ins
Französische, was Kilian nicht verstand.
Nach ein paar
Minuten kehrte Kilian in das Gasthaus zurück. Immerhin hatte er ein paar Sätze
aufgeschnappt und konnte dem Rat berichten.
Schulze brachte ihm
gerade die Suppe und das Bier. Die Stärkung hatte sich Kilian verdient.
Hoffentlich erstattete ihm der Rat die Kosten.
Nach der Mahlzeit
räumte die Wirtin im Vorbeigehen den Teller und den Krug ab. Kilian beschloss,
noch eine Weile zu bleiben, und bestellte sich eine gestopfte Pfeife. Während
er sie versonnen rauchte, überlegte er, wie er Quantz und den Kammerherrn
weiter beschatten konnte, ohne dass es auffiel. Leider kam er zu keinem
Ergebnis.
Er wollte gerade
Schulze rufen und bezahlen, da trat Quantz in den Raum. Er legte ein paar
Münzen auf den Tresen.
Kilian stand auf,
drängte sich heran und holte ebenfalls den Betrag aus der Tasche, den er
schuldig war. Weder der Wirt noch der Musikus beachteten ihn.
»Habt Ihr etwas wegen
des Herrn Franzosen erreicht?«, fragte Schulze leise. »Wird der König ihn aufs
Schloss holen?«
»Später«, sagte
Quantz.
»Sind die Herren so
weit zufrieden?«
»Durchaus.
Allerdings geht es Herrn La Mettrie im Moment nicht so gut.«
»Wie meinen Sie
das?«
»Er hat fast den
ganzen Braten allein gegessen und auch den Wein allein getrunken.«
»Und das in großer
Geschwindigkeit, nehme ich an«, sagte der Wirt. »Dafür ist er bekannt. Er hat
mir einmal gesagt, er würde vor dem Essen beim König einen ganzen Tag lang nichts
zu sich nehmen, um die zu erwartenden Genüsse umso mehr auszukosten.«
»Ich fürchte, er ist
vollkommen betrunken. Er liegt am Boden, so schlimm ist es. Man muss ihm in
sein Zimmer helfen.«
Schulze kratzte sich
am Kopf. »Jemine, was bringt dieser Franzose ein Unglück über uns … Ob wir
das allein schaffen? Mit Liese kann ich das nicht.«
»Ich kann helfen«,
sagte Kilian. »Was ist denn geschehen?«
Erst jetzt schienen
ihn die beiden Männer zu bemerken. In kurzen Worten erklärte Quantz, dass man
einen hohen Herrn diskret in sein Zimmer bringen müsse, damit er sich
auskurieren könne.
»Gern zu Diensten«,
sagte Kilian.
Schon als sie die
Treppe im Hof hinauf zur Galerie erklommen, hörten sie La Mettries lallende
Stimme. »Quantz«, rief er, »wo sind Sie? Kommen Sie, trinken Sie noch ein Glas
mit mir.« Ein würgendes Geräusch unterbrach ihn, und im nächsten Moment waren
Quantz, Schulze und Kilian im Separee – einem Raum mit rohen Fachwerkwänden und
einem Tisch, einigen Stühlen, einer Anrichte und einem Sofa darin. Dieser Raum
wurde vom Wirt sicher
Weitere Kostenlose Bücher