Schatten über Sanssouci
Diesmal wurde er durch ein Gebäude geführt. Parkett
knarrte. Seine Fesseln wurden gelöst, eine Tür hinter ihm wurde geschlossen. Er
war frei. Den Sack über seinem Kopf und den Knebel konnte er selbst entfernen.
Das Zimmer war viel
größer als die Unterkunft, die er in Sanssouci mit den anderen Lakaien teilen
musste. Es erreichte fast die Ausmaße eines der Gästezimmer im Potsdamer
Schloss. Es verfügte über einen Kamin, einige Möbel an den Wänden, ein Bett in
einem Alkoven. Auf einem der mit Damast bezogenen Stühle lag Wäsche bereit.
Andreas versuchte,
die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Er blickte aus dem Fenster. Es ging
auf andere Mauern hinaus und lag sehr hoch. Es war unmöglich, hinauszuklettern.
Andreas war immer noch gefangen.
Er musste auf
dem Bett eingeschlafen sein, als ein Knarren von den schweren Schritten
ertönte. Die Tür öffnete sich. Ein Mann in einem grauen Rock und mit einer
schwarzen Perücke trat ein.
Er deutete auf die
bereitliegenden Kleider. »Das hier kannst du anziehen«, sagte er. »Schau. Neben
dem Kamin steht ein Waschtisch. Du kannst dich auch etwas frisch machen.«
Damit ging der Mann
wieder. Andreas entledigte sich der Fischerlumpen, die vor Dreck starrten.
Ob er in dieser
noblen Umgebung Herrn Quantz treffen würde? Vielleicht hatte er es ihm zu
verdanken, dass man ihn von dem Fuhrwerk erlöst und hergebracht hatte.
Der grau gekleidete
Mann kam bald zurück. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Arbeit wartet
auf dich«, sagte er und hob die Hand. Andreas zuckte zurück, weil er
befürchtete, geschlagen zu werden. Doch der Mann fuhr ihm nur durchs Haar.
»Nein, nicht als
Lakai. Du bist zu Höherem bestimmt. Sag, hast du Hunger? Ach richtig, du
sprichst ja nicht. Wenn du dich angekleidet hast, wirst du zu essen bekommen.
Und dann wirst du arbeiten. Keine Sorge, die Arbeit wird dir Freude machen.
Aber du musst dich beeilen.«
Der Mann verließ den
Raum. Seine Schritte entfernten sich. Andreas kleidete sich an und ging ein
wenig umher. Neben dem Kamin hing ein Spiegel, in dem er sich betrachten
konnte. Er sah jetzt aus wie ein junger Edelmann.
Eine Weile lauschte
Andreas nur der Stille nach, die in dem Haus herrschte. Dann näherten sich
wieder die Schritte über das Parkett.
***
Die Herren
Quantz und La Mettrie standen schon eine Weile auf der Nauenschen Brücke und
unterhielten sich. Michael Kilian hätte zu gern gewusst, worüber. Aber es war
zu gefährlich, sich weiter zu nähern. Ob sich die beiden Herren hier an der
Brücke trennen würden? Nein, sie gingen gemeinsam weiter, immer wieder
pausierend, sodass sich Kilian jedes Mal hinter einen der Bäume stellen musste,
die den Kanal flankierten. Dann erreichten Quantz und La Mettrie endlich ihr
Ziel. Es war das Gasthaus.
Kaum waren die
beiden darin verschwunden, beschleunigte Kilian seine Schritte und öffnete die
Tür. Diesmal würde er dranbleiben. Er würde sich kein zweites Mal von Rat Weyhe
rügen lassen.
Im Gastraum
herrschte Enge, die Luft war stickig, der Rauch aus Tabakspfeifen vermischte
sich mit den Essensgerüchen. Schulze, der Wirt, trug dampfende Schüsseln und
Teller durch das Gedränge.
La Mettrie und
Quantz waren nicht zu sehen. Waren sie auf La Mettries Zimmer gegangen? Dann
hatte Kilian keine Möglichkeit, sie weiter im Auge zu behalten.
»Einen Platz, der
Herr?«, fragte Schulze. »Quetsch Er sich irgendwo dazwischen. Ah, da hinten
wird gerade was frei.«
Kilian folgte ihm in
die hinterste Ecke, wo sich ein paar Männer erhoben. Der Wirt wischte mit einem
Lappen, den er in seinem breiten Ledergürtel stecken hatte, die Tischplatte
sauber. Schulzes Frau servierte am Nachbartisch Bier.
»Die Herren sind im
Separee«, rief Schulze ihr zu. »Kümmer dich um sie.«
Die Frau nickte und
arbeitete sich zwischen den Tischen hindurch zum Tresen. Dahinter gab es einen
Durchgang, in dem sie verschwand.
»Was darf’s denn
sein?«, fragte der Wirt, sah aber gleichzeitig an Kilian vorbei in den
Gastraum, wo jemand nach der Bedienung rief.
»Ihr habt ein
Separee?«, fragte Kilian.
Schulze kratzte sich
am Kopf. »Für besondere Gäste. Die Benutzung kostet natürlich extra.«
»Ruhig gelegen?«
»Ja … nach
hinten hinaus, aber es ist heute Mittag besetzt. Oder will Er es für morgen
haben? Oder heute Abend?« Er sah Kilian misstrauisch an. »Aber doch nicht für
Ihn?«
»Vielleicht für
meinen Herrn«, sagte Kilian und bestellte eine Suppe und ein Bier. »Vorher will
ich aber
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