Schatten über Sanssouci
der, »obwohl wir eine Verabredung haben.«
»Kommen Sie.« Sie
betraten das Gebäude, ein Bürgerhaus in der Jägerstraße, in dem – wie in vielen
Häusern der Stadt – im ebenerdigen Stockwerk Soldaten wohnten.
Auf einer Liege war
ein Mann zu erkennen, der auf dem Bauch lag. Sein Rücken war eine einzige
glänzend rote Fläche. Eine Frau erhob sich von einem Hocker, als sie die beiden
Männer sah.
»Er ist wieder
ohnmächtig«, sagte sie.
»Gehen Sie hinaus«,
befahl Weyhe.
Sie gehorchte
sofort. Weyhe schritt auf den Verletzten zu und setzte sich auf den Hocker.
»Warum haben Sie mich nicht früher geholt?« Der Kopf des Soldaten hing über dem
Rand der Liege. Weyhe klopfte ihm auf die Wange. »He, Herr Grenadier, hören Sie
mich? Wie heißt er?«
»Sein Name ist
Lindstedt«, sagte der Leutnant. »Aber das ist eine Militärangelegenheit. Bitte
nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich Sie nur hereingelassen habe, weil Seine
Majestät es mir befohlen hat. Und es somit meine Pflicht ist.«
Der Verletzte
öffnete die Augen, sein Blick war verschleiert. Ein Stöhnen entrang sich seiner
Kehle.
»Und weil es Ihre
Pflicht ist, Ihre Soldaten zu Brei zu hauen, tun Sie auch das?«
»Zweifeln Sie etwa
am Sinn des militärischen Strafsystems?«
»Keineswegs. Ich denke
nur darüber nach, ob diese Bestrafung in diesem einen Fall wirklich sinnvoll
war.«
»Sollen wir es
durchgehen lassen, wenn ein Soldat Seiner Majestät fliehen will?«
»Ich hätte ihn gern vor der Strafe darüber befragt, wie ihm die Flucht gelungen
ist.«
»Sie ist ihm nicht
gelungen, sonst hätten wir ihn ja nicht bestrafen können.«
»Herr Leutnant«,
sagte Weyhe und bemühte sich, ruhig zu bleiben angesichts dieser militärischen
Engstirnigkeit. »Halten Sie mich nicht für einen Idioten. Wo haben Sie den Mann
aufgegriffen?«
»Hinter Teltow. Er
hatte sich in einem Waldstück versteckt. Die Bauern haben ihn zwischen frisch
gefälltem Holz gefunden.«
»Und Sperber war
nicht auch noch in der Nähe?«
»Nein.«
»Wie ist er Ihrer
Meinung nach dorthin gekommen? Trotz bewachter Tore in der Stadt? Und trotz
Akzisemauer?«
»Das weiß nur er
selbst.«
»Sehen Sie, und
deswegen hätte ich gern mit ihm gesprochen. Aber bevor Sie ihn haben fast totprügeln lassen.«
»Veralbere Er mich
nicht, Herr Rat«, brüllte der Offizier, der offenbar
endlich gemerkt hatte, dass Weyhe ihn nicht ganz für voll nahm. »Wir haben es
versucht. Der Mann hat geschwiegen wie ein Grab. Selbst im Angesicht der
Prügelgasse wollte er nicht reden. Glauben Sie, er wird Ihnen jetzt erzählen,
wie ihm die Flucht gelungen ist? Ihre Anwesenheit, Herr Rat, ist fehl am Platze. Überflüssig. Wir vom Militär haben unsere eigenen
Methoden.«
»Und die scheinen ja
wunderbar zu funktionieren.« Weyhe blickte wieder auf den Delinquenten, der
plötzlich wild die Augen verdrehte. Versuchte er zu sprechen?
»Sagen Sie mir, was
geschehen ist«, sagte Weyhe leise zu ihm. »Wir wissen, dass es ein System gibt,
mit dessen Hilfe die Deserteure die Stadt verlassen.«
Der Soldat bewegte
die spröden Lippen, doch kaum ein Laut war zu hören. Die Anstrengung war so
groß, dass er die Augen wieder schloss.
»Was haben Sie
gesagt?«, fragte Weyhe. »Ich verstehe Sie nicht.«
Einen Moment war es
absolut still im Raum. »Wasser«, stöhnte der Soldat auf dem Bett dann klar und
deutlich.
Weyhe griff zu einem
Krug, der auf dem Boden stand, und hob ihn hoch. Er stoppte aber in der
Bewegung – nur wenige Fingerbreit vom Mund des Soldaten entfernt. »Sprechen
Sie, dann erhalten Sie Wasser«, sagte er. »Hier. Schönes, klares, kaltes
Wasser.«
Der Soldat bewegte
den Kopf. Es sollte wohl ein Nicken sein.
»Verlieren Sie keine
Zeit«, sagte Weyhe. »Je früher ich Bescheid weiß, desto früher bekommen Sie
Wasser.«
Wieder versuchte der
Grenadier, Worte zu formen.
»Deutlicher«, befahl
Weyhe.
»Man … wird …«
»Ja?«
Mit schweren
Schritten kam der Leutnant heran. Seine Tritte übertönten die schwachen Worte
des Soldaten, sodass Weyhe eine heftige abwehrende Bewegung machte. Es war
einfach nicht auszuhalten mit diesen groben Soldatenkerlen.
»… angesprochen.«
»Man wird
angesprochen? Von wem?«
»Zivilist … abgeholt …«
»Wer hat Sie
abgeholt? Und wo? Wo hat man Sie dann hingebracht?«
Der Soldat
schüttelte den Kopf. »Blind … Augen … verbunden …«
»Man hat Sie blind
irgendwohin geführt? Und so sind Sie aus der Stadt herausgekommen?«
»Das ist
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