Schatten über Sanssouci
unmöglich«,
rief der Offizier. »Die Stadt wird bewacht. Wenn ein Soldat fehlt, fällt das
sofort auf.«
»Lassen Sie ihn
sprechen«, sagte Weyhe.
Der Soldat stöhnte.
»Wasser …«
»Wie haben Sie die
Stadtmauer überwunden?«, fragte der Rat. »Sagen Sie es und Sie dürfen trinken.«
»Wasser …« Der
Soldat schloss die Augen, der Kopf erschlaffte.
Weyhe stellte den
Krug hin. Am liebsten hätte er den Grenadier an der Schulter gepackt, doch er
schreckte vor all dem Blut und dem rohen Fleisch zurück. So klopfte er ihm
wieder auf die Wange. Der Mann reagierte nicht.
Weyhe befeuchtete
seine Hand und hielt sie ihm vor den Mund. Der Mann war tot.
»Er atmet nicht
mehr«, sagte er und stand auf. »Der wird uns nichts mehr sagen.«
21
»Sie
wollen nach Berlin fahren?«
»Ich habe es mir
überlegt. Ich bin sicher, dass ich dort mehr erfahre.«
»Sie meinen über die
Zusammenkunft der Musiker.«
»So ist es.«
Sophie stand
unbeweglich vor der geschlossenen Tür der Studierstube. Insgeheim war Quantz
sich gar nicht so sicher, ob die anstrengende Fahrt nach Berlin wirklich
sinnvoll war. Vielleicht vertat er damit nur wertvolle Zeit. Aber es war eine
Möglichkeit.
»Hat Herr La Mettrie
Ihnen das geraten?«
Er hatte ihr alles
erzählt, was geschehen war. Gern hätte sich Quantz der Hilfe des Kammerherrn
versichert, aber der war nun damit beschäftigt, seinen Rausch auszuschlafen.
»Muss es denn heute
sein? Wäre es nicht besser, hier in Potsdam zu bleiben und abzuwarten?«
»Die Musiker sind
wieder in Berlin«, sagte Quantz. »Heute Abend müssen sie in der Oper spielen.
Wenn es eine Gelegenheit gibt, die Sache aufzuklären, dann heute. Ich bin morgen
Abend wieder hier.«
»Sie werden bei
Ihrer Frau übernachten?«
»Natürlich.«
Ein seltsamer
Ausdruck flackerte über Sophies Gesicht. Etwas wie ein leiser Schmerz, der eine
Spur Eifersucht enthielt.
»Keine Sorge«, sagte
er. »Sie verbringt ihre Nächte mit ihrem Diener.«
Ein Lächeln erblühte
auf Sophies Wangen, und Quantz wurde es warm ums Herz. Er ging auf sie zu und
küsste sie auf die Stirn.
Quantz ließ sich
von Brede gleich zum Berliner Opernhaus fahren. Gegen halb sechs trafen sie
ein, und er trug Brede auf, seine Habseligkeiten zur Adresse seiner Frau zu
bringen. Das Einzige, was er bei sich behielt, war das Manuskript mit den
seltsamen Tabellen von Andreas.
Vor dem
Theatergebäude hatten sich bereits einige Besucher versammelt. Die Vorstellung
begann in einer guten halben Stunde. Quantz sah nachdenklich zu den Säulen und
der Treppe hinauf, die das Haus wie eine Nachbildung eines antiken Tempels
erscheinen ließen.
Es hatte Zeiten
gegeben, in denen er fast jeden Abend in der Oper verbrachte. Vor allem auf seinen
Reisen, die ihn in Städte geführt hatte, wo man dieses spektakuläre Genre in
solcher Perfektion auf die Bühne brachte, dass man sich in den Stunden, die
eine Aufführung dauerte, in einem Wunderland wähnte.
Es waren ja nicht
nur die musikalischen Glanzleistungen, die die Opernbesucher in Venedig,
Neapel, Rom und in vielen anderen Ländern Europas begeisterten. Die auf der
Bühne gespielten, von glanzvoller Musik veredelten Geschichten, die Taten
antiker Helden wie Alexander, Cäsar und Orpheus waren in immer neue,
spektakuläre Bühneneffekte eingebettet. Da gab es Schlachtenszenen, Erdbeben,
Seestürme, Wasserfälle, Gewitter, es gab echte Tiere auf der Bühne – Pferde, ja
ganze Vogelschwärme.
Musik war nur eines
von vielen Mitteln, um all dieses gewaltige Bühnengeschehen zu unterstreichen,
um ihm Atmosphäre zu geben und um die Gesangsstars glänzen zu lassen, die in
die Rollen der Helden, ihrer Gegenspieler, ihrer Geliebten und ihrer Verbündeten
schlüpften.
Quantz eilte die
Stufen hinauf und kämpfte sich durch die Menschen, die, in teure Garderobe
gekleidet, für Billetts anstanden. Auch viele einfache Leute waren unter den
Besuchern. Als der König das Opernhaus vor gut sechs Jahren hatte einweihen
lassen, hatte er befohlen, dass jeder Bürger der Stadt Zutritt zu den
Vorstellungen haben sollte.
Die Aufseher an den
Eingängen kannten Quantz und ließen ihn passieren. Er wandte sich dem Bereich
hinter der Bühne zu. Auf schmalen Fluren kam er an Bühnenarbeitern vorbei, traf
auf eine Gruppe geschminkter Damen des Balletts, folgte engen Treppen und
näherte sich dann den Räumen, wo sich die Instrumentalmusiker und Sänger
vorbereiteten. Viele Stimmen klangen durcheinander. Helle Soprane, Bässe,
Tenöre.
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