Schatten über Sanssouci
hier?«, fragte die Gestalt. Es war die Stimme des Mannes, der
ihn an der Brücke angesprochen hatte. Der Mann war sehr groß. Er hob die Hand,
und in ihr lag der Stein. Er hatte ihn aufgehoben.
Und Jakob hatte es nicht gemerkt.
Sein Reichtum war
dahin, wenn er jetzt nicht reagierte. Weglaufen konnte er nicht, dann würde er
alles, was er besaß, im Stich lassen. Hinter dem Mann war der Fluss. Wenn es
ihm gelang, sich gegen ihn werfen und ihn hineinzustürzen …
Doch da war schon
der Zweite heran und packte ihn.
»Lasst mich«, rief
Jakob, doch sein Schreien ging in Gurgeln unter, als ihm einer der beiden eine
Hand auf den Mund presste. Jakob riss die Augen auf, als der Mann mit dem Stein
den Arm hob.
***
Das graue Licht
in dem Wasserloch war zuerst ein matter Schein, dann wurde es heller und heller
und erleuchtete, bis es sich zu einer tiefblauen Fläche öffnete.
Andreas kam zu sich
und spürte ein Gefühl von Geborgenheit. Ein grobes, kantiges Gesicht beugte
sich über ihn und grinste ihn an.
»Wieder da? Hab mir
schon Sorgen gemacht.«
Andreas zuckte vor
Schreck zurück, Schmerz schoss durch seinen linken Arm, als er ihn an einer
harten Kante anschlug. Über ihm spannte sich der freie, helle Himmel. Möwen
kreischten, ein platschendes Geräusch neben ihm ließ ihn gleich wieder
hochfahren. Zwei Männer zogen an einem Netz voller silbriger zappelnder Fische,
das sie neben ihm ins Boot entleerten.
»Halt, halt«, rief
der Mann. »Keine Angst. Du bist in Sicherheit.«
Vor ihnen lag die
Stadt mit den hellen Mauern des Schlosses, mit Dächern und Türmen. Ein Stück
weiter kreuzte die Lange Brücke die Havel, und dort hatten in einem
komplizierten Durcheinander Fischerboote angelegt. Die Fläche der Kähne wirkte
wie eine zusätzliche Landfläche, die sich in den Fluss hineinschob. Oberhalb
drängten sich Menschen zwischen Bretterbuden und hohen Bottichen. Geschrei kam
von dort zu ihnen herüber.
»Alles in Ordnung?«,
fragte der Mann, und Andreas spürte, dass er keine Angst vor ihm zu haben
brauchte. »Schau nicht so verwirrt. Du bist auf der Havel, und das da ist der
Fischmarkt, den kennst du doch? Oder sind sich königliche Lakaien zu fein, um
dort hinzugehen? Ah, wahrscheinlich bist du noch nie auf einem Boot gewesen.
Aber wie bist du dann ins Wasser gekommen?«
Natürlich kannte
Andreas den Potsdamer Fischmarkt – wenn er sich auch selten dort aufhielt.
Abgesehen davon, dass ihn seine Aufträge kaum in diese Gegend brachten, mochte
er den Gestank von Fisch nicht, der jetzt in zunehmender Stärke herüberwehte.
»Du redest wohl
nicht gern, was?«
Er starrte zum Land
hinüber und wünschte nichts sehnlicher, als dass sie endlich ankamen. Da fiel
ihm auf, dass er seine Lakaienlivree nicht mehr trug.
»Keine Sorge«, sagte
der Fischer. »Du musstest ja aus den nassen Sachen. Ich hab deine Uniform für
dich aufgehoben. Wir haben immer was zum Wechseln an Bord, falls einer nass
wird. Und dann hattest du noch das hier dabei.« Andreas drehte sich um. Der
Mann hielt ihm ein Paket von nassem Papier entgegen. »Bist du vielleicht gar
kein Lakai, sondern Musiker? Ich hab einen Vetter, der spielt die Fiedel, und
der hat auch oft solche Papiere mit so komischen Musikzeichen …«
Andreas griff nach
dem Paket. Es war vollkommen von Wasser durchtränkt.
»Du könntest dich ja
wenigstens bedanken, wo wir dich doch aus dem Fluss gezogen haben. Ich frage
mich sowieso, wie du da reingekommen bist. Wäre sicher auch nicht zu viel
verlangt, wenn du’s mir erzählen würdest. Da hätte ich eine schöne Geschichte
für meine Frau und die Kinder …«
Andreas versuchte
vorsichtig, die beschriebenen Blätter auseinanderzufalten. Bereits der kleinste
Versuch führte dazu, dass das Papier riss. Vielleicht half es, wenn man es
langsam trocknen ließ. Aber die Tinte war an vielen Stellen verlaufen, das
meiste war unleserlich geworden.
Der Fischer legte
ihm das Bündel Kleidung hin – Andreas’ Livree, der Rock, die Hosen. Auch das
zog er zu sich heran.
Der Fischer
schüttelte den Kopf. »Na, du bist mir ein komischer Heiliger.« Er nahm ein
Ruder und bugsierte das Boot an den Steg. Kaum hatte die Planke den Steg
berührt, stand Andreas auf, packte das Bündel und den nassen Packen Papier und
lief los.
11
Das
Gasthaus »Zur Goldenen Krone« lag von Quantz’ Haus einige hundert Schritte den
Kanal abwärts, eingezwängt zwischen zwei Bürgerhäusern und von Linden
beschattet. Schräg gegenüber öffnete sich die
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