Schatten über Sanssouci
es um das, was er für
die Wahrheit hält.«
»Monsieur, ich
möchte mir nicht weiter anhören, wie Sie unseren König kritisieren. Und ich bin
auch nicht gekommen, um mit Ihnen über Recht und Unrecht zu philosophieren …«
»Dazu dürften Sie
auch kaum in der Lage sein. Das kann niemand in diesem Soldatenstaat.«
»Ich möchte etwas
über Andreas Freiberger herausfinden. Und über die Umstände seines Todes.«
»Das klingt besser.«
La Mettrie hob die Hand und tippte sich mehrmals an die Stirn. »Selber denken,
Monsieur. Das ist allerdings in Preußen selten. Wenn Sie damit anfangen, sind
wir hierzulande schon zwei. Oh – ich vergaß. Abgesehen von Seiner Majestät natürlich.«
Wieder gab er sein Lachen von sich.
Quantz gab sich
Mühe, die Unverschämtheiten zu überhören, die der Franzose über den König und
über Preußen ausgoss. »Was ich sagen will … Sie kannten Andreas doch?«,
fragte er.
»Kennen ist zu viel
gesagt. Er brachte mir die Einladungen des Königs zu seinen sogenannten
Tafelrunden. Nichts anderes als Abendessen mit – das muss ich zugeben –
fulminanten Speisen, leicht verdorben durch langweilige Gespräche, die der
König meist als Monolog führt. Mir hat er mehr oder weniger die Rolle eines
Hofnarren angetragen, die ich so gut es geht erfülle. Eine Pointe hier, ein
netter Gedanke da. Ironie ist stets gefragt. Offiziell heiße ich natürlich
Kammerherr und königlicher Leibarzt. Jetzt müsste eigentlich eine Fanfare
erklingen, aber die können Sie sich als Maître de Musique sicher denken. Und
wie gesagt, alle außer mir in diesen Runden sind verblödete Hornochsen, die der
König lieber auf seine preußischen Kuhweiden führen sollte, als sie so
hochgestochen abzufüttern.«
La Mettrie musste
verrückt sein, solche beleidigenden Reden von sich zu geben. Quantz kämpfte
seinen Ärger nieder. »Bleiben wir bei Andreas.«
»Ich habe Ihnen
alles zu ihm gesagt, was zu sagen ist.«
»Haben Sie mit ihm
gesprochen? Ach nein, er spricht ja nicht. Haben Sie einen Eindruck von ihm
gewonnen? Ich habe festgestellt, dass er … gewisse Talente besitzt.«
»Na sicher. Warum
auch nicht? Glauben Sie, nur weil ein Mensch nicht Kammerherr, Hofmusikus,
Leibkoch oder General ist und nur weil er keinen oder einen niedrigen Rang
besitzt, muss er weniger begabt sein als andere? Was glauben Sie denn, woher
Begabung kommt? Von königlicher Gnade? Nein – es ist das Walten der Natur,
deren geheime Mechanik wir noch lange nicht wirklich verstehen. Ein König kann
ein Idiot sein. Ein Lakai ein Genie. Wie bunt ist doch die Welt.«
»Lassen Sie mich
noch etwas anderes ansprechen, Monsieur. Sie waren doch auch beim Konzert in
Monbijou zugegen.«
La Mettrie lachte
wieder. »Das Konzert, bei dem Sie sich in Ihrem eigenen Andante verlaufen haben
wie ein Kind im Wald. Seine Majestät war sehr amüsiert über diesen Vorfall. Ein
Lehrer, der im Duett mit dem Schüler versagt – für die tiefere Ironie solcher Vorkommnisse
hat er ein Gespür. Wissen Sie, was er danach zur versammelten Hofgesellschaft
gesagt hat? Er meinte, es sei doch wohl durch den Vorfall erwiesen, dass er
sich nun die zweitausend Taler für seinen Flötenmeister selbst zahlen könne –
da er doch wohl nun das Zeug habe, einer zu sein.«
Quantz konnte nicht
länger an sich halten. Er sprang auf und schüttelte ihn. La Mettrie wehrte sich
nicht. Es war, als würde Quantz einer Stoffpuppe an die Schulter greifen. Auf
dem runden Gesicht des Franzosen erschien ein breites Grinsen. »Ich sage die Wahrheit«,
rief er. »Und wenn Sie sie nicht ertragen können, dann sollten Sie nicht mit
unsereins verkehren. Ihre sinnlose Reaktion hier disqualifiziert Sie
vollkommen. Sie wollen die Wahrheit bekämpfen – was Sie natürlich nicht können,
weil sie nun mal die Wahrheit ist. Und stattdessen bekämpfen Sie mich, der ich
ja nur der Überbringer der Wahrheit bin.« Er wischte sich über sein fleckiges
Hemd. »Gehen Sie. Ich bin nachher zur Tafel geladen und möchte noch arbeiten.«
Er glitt vom Bett
und rutschte auf allen vieren wieder in die Position, in der Quantz ihn
vorgefunden hatte. Ohne ihn weiter zu beachten, nahm La Mettrie sich den
zuletzt beschriebenen Bogen Papier vor und las stirnrunzelnd darin.
»Eine Sache noch,
Monsieur«, sagte Quantz.
»Was wollen Sie noch?«
Ohne den Blick von dem Geschriebenen zu nehmen, tastete La Mettrie nach der
Feder.
»Bevor in Monbijou
die Musik begann, haben Sie eine Zusammenkunft
Weitere Kostenlose Bücher