Schatten über Ulldart
verdankten die granburgischen Leibwachen, dass der Gouverneur nicht auch den Säbel gegen sie erhob.
»Herr, habt Ihr die Besinnung verloren? Kommt wieder zu Euch, die Schlacht ist gewonnen«, rief der Vertraute beschwörend.
Mit einem etwas verwirrten Gesichtsausdruck senkte der junge Mann die Waffe.
»Es ist also vorbei?«, keuchte er. Der Schweiß rann ihm von der heißen Stirn.
»Ja, Herr. Ihr habt tapfer gekämpft. Waljakov wird stolz auf Euch sein, wenn er davon erfährt«, sagte Stoiko. »Verstaut den Säbel und wascht Euch das Blut aus dem Gesicht, der Geruch macht Euch offensichtlich zu stürmisch.«
Lodrik ließ sich auf den Boden plumpsen und schaute auf die schartige, blutige Klinge. »Das ist also das Gefühl, wenn man Menschen tötet, Stoiko. Es ist gefährlich. Es gibt dir den Eindruck, unendliche Macht über das Leben anderer zu haben.« Er schloss die Augen. »Ich darf mich nicht daran gewöhnen. Es ist nicht gut.«
Die Leibwache versorgte die eigenen Verwundeten notdürftig, während sich der Hauptmann Stoiko und dem Gouverneur vorsichtig näherte. »Exzellenz, wir sollten weiter zu Garnison. Vielleicht sind noch mehr von denen unterwegs.«
»Lasst sie kommen«, rief Lodrik und erhob sich. Ein unheimliches Feuer brannte in seinen Augen. »Ich fürchte keinen Gegner, schließlich sind sie alle sterblich.«
»Wie Ihr und ich, Herr«, erinnerte der Vertraute sanft. »Deshalb lasst uns zur Garnison reiten. Ihr seid, wie Eure Wachen, erschöpft.«
»Nun, von mir aus.« Der Gouverneur steckte den Säbel in die Scheide und schwang sich auf sein Pferd. »Nehmt die Gefangenen mit, wir brauchen sie noch für ein Verhör.«
»Und die verwundeten Gegner?«, wollte der Hauptmann wissen.
»Sollen sie liegen bleiben«, ordnete Lodrik mit kalter Stimme an. »Von mir aus können sie verrecken.«
Der Tross setzte sich in Bewegung und ritt in Richtung Garnison, doch es lag ein unheilvolles Schweigen über dem Zug. Jeder hatte die Worte des Gouverneurs während des Kampfes gehört.
»Und die Prophezeiung wurde all die Jahre über gehört und verstanden, der Knabe des Kabcar behütet und beschützt, auf dass ihm kein Leid zustoße und Ulldart der Dunklen Zeit anheim falle. Der Herrscher von Tarpol ersann eine List, um seinen Sohn weg von der Gefahr zu bringen und gleichzeitig zu einem würdigen Kabcar ausbilden zu lassen.
Der vom Schicksal ausersehene Knabe ging unter falschem Namen in die tarpolische Provinz Granburg, um als Gouverneur das Herrscherhandwerk zu erlernen. Er wuchs und entwickelte sich zu einem weisen, gerechten Statthalter, der sich gegen die Adligen und Brojaken durchsetzte.
Aber böse Kräfte entdeckten ihn und schickten einen Assassinen, um den jungen Mann zu töten, damit endlich die Dunkle Zeit wieder anbräche. Doch der Anschlag misslang.«
ULLDARTISCHER GESCHICHTSALMANACH, XXI. Band, Seite 1057
Dorenaia, Provinz Ker, Spätsommer 442 n.S.
Matuc wanderte am grünen Ufer des Repol entlang und fluchte, wie er es noch nie in seinem Leben als Mönch getan hatte. Der Auftrag des Geheimen Rates, auch wenn er von Ulldrael persönlich kam, stellte ihn vor eine Reihe von Problemen. Wie sollte er den Tadc beseitigen? Er war kein Kämpfer, er konnte schwer lügen, und Intrigen hasste er zutiefst.
Einen Menschen zu töten, um den ganzen Kontinent vor Schaden zu bewahren, ließ sich mit seinem Gewissen zwar vereinbaren, wenn er sich seiner Sache sicher gewesen wäre – aber der Mönch war sich nicht sicher.
Es lagen zwei Deutungen der Vision vor, und die eine war für ihn ebenso wahrscheinlich wie die andere. Insgeheim hoffte er inständig auf ein Zeichen Ulldraels, aber auch der Gott hielt sich mit Hinweisen sehr zurück.
Er näherte sich mit dem Schlepper Wjierck, den er sich für seine Reise ausgesucht hatte, mehr und mehr den Ausläufern der Provinz Granburg. Einen echten Plan hatte er aber immer noch nicht entwickelt.
Matuc blieb im Schatten einer Ulldraeleiche stehen und schaute zum Kahn hinüber, bei dem die Ladung gelöscht wurde.
Der Flussschiffer machte sehr zu seinem Leidwesen an jeder kleinen Station Halt, um Passagiere aufzunehmen oder an Land gehen zu lassen und nach Fracht zu sehen. Und die Wjierck nahm alles mit, was man auf dem betagten Kahn transportieren konnte, Holz, Getreide, Erz, Kohlen, Vieh und Menschen.
Obwohl es deshalb Verzögerung gab, war der Repol immer noch der schnellste Weg zu reisen. Der Mönch würde noch früh genug auf einen Esel umsteigen müssen,
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