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Schatten über Ulldart

Schatten über Ulldart

Titel: Schatten über Ulldart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Kullak gefressen, als hier zu enden.«
    Der Gouverneur starrte auf die Palisaden. Das Grauen fesselte ihn so sehr, dass er die Gefahr durch das Untier völlig vergessen hatte.
    Ein Armbrustbolzen bohrte sich knapp unter dem entstellten Mann ins Holz.
    »Weg, da«, hallte die tiefe Stimme Waljakovs über die Lichtung, »oder der nächste Schuss trifft dich!«
    Lodrik drehte sich um und sah den Leibwächter zusammen mit mehreren Bewaffneten aus dem Wald reiten, die Männer auf den Palisaden verschwanden fluchtartig. Von drinnen hörte man das Dröhnen eines Rufhorns.
    Waljakov brachte sein Pferd neben dem zitternden Lodrik zum Stehen und streckte die Hand aus. »Steigt auf, Herr. Wir müssen weg von hier, bevor sie ihren Mut wieder finden.«
    »Es tut mir Leid, ich wollte nicht …«, stammelte der Junge, doch der Leibwächter zerrte ihn hinter sich auf den Pferderücken.
    »Darüber können wir später reden, Herr. Ich möchte nach Granburg, bevor es dunkel wird und die Wölfe kommen.«
    Sie ritten schweigend durch den Wald zurück in Richtung Provinzhauptstadt.
    Lodrik sah später den Kadaver seines Pferdes neben dem des Kullak, zwei Soldaten der Leibwache lagen tot im Schnee.
    Der Gouverneur klammerte sich an Waljakov und drückte das Gesicht tief in den Pelzmantel. Er wollte von dieser Provinz nichts mehr hören und sehen.
    »Habt Ihr vergessen, dass das Schicksal des ganzen Kontinents von Euch abhängt?« Stoiko lief mit verschränkten Armen um das Bett des Gouverneurs, in dem der Junge seit seiner Rückkehr vor zwei Tagen steckte. Die Kälte und die Aufregung hatten ihre Spuren an Lodrik hinterlassen, seine Nase sonderte unentwegt Schleim ab, er hustete ständig und rasselte bei jedem Atemzug. »Was wäre wohl, wenn Euch der Kullak gefressen hätte?«
    »Dann wäre mir Tarpol jetzt gleichgültig«, gab der Gouverneur schwach zurück.
    Eine Stunde lang hielt ihm sein Vertrauter nun eine Moralpredigt, und er hatte inzwischen wirklich verstanden, dass er mit seinem ungeplanten Abstecher ein großes Wagnis eingegangen war.
    »Das darf es aber nicht, Herr. Nicht jetzt und nicht später. Ich möchte, dass Ihr so etwas nie wieder tut.« Stoiko kniete sich neben das Bett. »Versprecht es mir. Denkt an Euer Leben, die vielen Menschen auf Ulldart und deren Schicksal.«
    Lodrik seufzte. »Ich verspreche es, Stoiko. Und jetzt lass mich bitte schlafen. Ich fühle mich nicht besonders gut.«
    Der Mann erhob sich, deutete eine Verbeugung an und verließ das Zimmer, während sich der Junge auf die linke Seite drehte und die Augen schloss.
    Immer wieder kehrten die Bilder zurück. Er sah den Kullak, der sein Pferd auffraß, den entstellten Mann und die toten Wachen, die wegen ihm ihr Leben gelassen hatten, alles mischte sich zu einem großen Durcheinander und hinderte ihn am Einschlafen.
    Waljakov hatte während des Rittes nichts gesagt, der Tross war schweigend in die Stadt zurückgekommen und ohne Umwege zum Palast geritten. Doch der enttäuschte Blick, den ihm der Leibwächter beim Absteigen zugeworfen hatte, sagte mehr als irgendeine Rede, die ihm Stoiko dafür anschließend hielt.
    Gerade hatte Lodrik angefangen zu glauben, dass sich sein Leben ein bisschen zum Vorteil veränderte, dann musste dieser fürchterliche Nachmittag kommen.
    Aber immerhin, diesmal war keine einzige Träne aus den Augenwinkeln gelaufen, meisterhaft hatte er die Beherrschung behalten.
    Still betete er zu Ulldrael und bat um Nachsicht für sich und um die gnädige Aufnahme der Wachen in die Halle der Furchtlosen.
    Lodrik versank doch noch in einem unruhigen Halbschlaf. Albträume jagten den Jungen, schickten ihn auf eine aussichtslose Flucht gegen den monströsen Kullak, der sich plötzlich in den Mann mit dem halbzerfallenen Gesicht aus dem Totendorf verwandelte. Eine verweste Klaue schob sich in das Gesichtsfeld des Gouverneurs und griff nach seinen Augen; die gelben, gebrochenen Fingernägel kamen näher, dann drangen sie in die Pupillen ein.
    Schreiend erwachte Lodrik, die Arme schützend vor die Augen gelegt.
    Einen Moment lang lauschte er in die Stille des Raumes, bevor er einen vorsichtigen Blick wagte, aber glücklicherweise sah er weder das Ungeheuer noch den Mann aus dem Totendorf.
    Das Zimmer war dunkel. Nur die kleine Kerze, die auf dem Nachttisch brannte, sorgte für einen wohlig goldenen Schimmer.
    Langsam ließ sich Lodrik in die Kissen des Bettes zurücksinken und versuchte seine schnellen Atemzüge zu verlangsamen, während er die

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