Schatten über Ulldart
Wald und schaute sich um.
Weit und breit war kein Zeichen menschlicher Zivilisation zu entdecken. Das einzige Geräusch erzeugte der Wind, der in den Wipfeln der Bäume ein leises, rauschendes Lied sang.
»Da siehst du, was du gemacht hast. Das sieht nicht gut für uns aus«, murmelte Lodrik und stapfte den Weg entlang.
Das letzte Dorf, an das er sich erinnern konnte, lag mindestens eine Viertelstunde zurück, wenn nicht sogar noch länger, und sein Pferd brauchte dringend einen trockenen, warmen Stall und etwas zu fressen, wenn er den Heimweg auf ihm antreten wollte. Ganz zu schweigen von seinem Bedürfnis nach einem heißen Tee und Berge von Essen.
Die Sonnen sanken tiefer, zarte Dunstschleier stiegen auf. Der Harac bekam ernste Zweifel an seiner Eingebung, alleine auf Erkundungsritt zu gehen.
Nach einer Viertelstunde entdeckte Lodrik aus einem nahen Wald eine dünne, weißliche Rauchsäule aufsteigen, die er zunächst für Nebel gehalten hatte.
»Aha, wir haben doch Glück«, sagte er zu seinem Reittier, »und wenn es nur ein Kohlenmeiler ist, der uns da erwartet.«
Müde bahnten sie sich einen Weg durch den lockeren Schnee und kam an den Rand der Fichtenansammlung.
Der Gouverneur roch nun auch das Feuer, das irgendwo vor ihnen brannte und eine warme Unterkunft versprach.
Das Pferd schnaubte nervös und blähte die Nüstern.
»Was denn? Wir haben es doch gleich geschafft.« Aufgeregt zerrte das Tier am Zügel und befreite sich mit einem mächtigen Ruck aus der Hand Lodriks.
Das Pferd galoppierte ein paar Schritte am Wald entlang, dann schien die Schneedecke unmittelbar neben dem Vierbeiner zu explodieren.
Ein riesiges Wesen, eine Mischung aus Bär und Wolf mit weißem, zottigem Pelz, brach aus seinem Versteck hervor, fiel das Pferd brüllend an und warf es zu Boden. Die mächtigen, zahnbewehrten Kiefer zerrissen die Kehle der wiehernden und um sich tretenden Beute.
Der jugendliche Gouverneur wartete nicht ab, bis das Ungeheuer ihn entdeckte, sondern drehte sich um und rannte voller Angst in den Wald, während er hinter sich das Splittern der Knochen seines Pferdes hörte.
Lodrik keuchte und schnaufte, warf den Säbel weg, streifte die Pelzmütze vom Kopf und löste die Spange des schweren Pelzmantels in der Hoffnung, durch die Gewichtsreduzierung an Schnelligkeit zuzulegen.
Äste und Zweige zerkratzten sein Gesicht, Dornenranken zerrissen die Kleidung und schrammten über die Haut, doch der Junge blieb nicht stehen, obwohl das Herz wie eine Tanztrommel in seiner Brust schlug.
Ein paar Mal stürzte er in den kühlen Schnee, doch die Angst vor dem riesigen Wesen verlieh ihm ungeheure Kräfte.
Mit einem Mal lichtete sich das dichte Unterholz. Lodrik stand völlig außer Atem vor einer kleinen, palisadenumzäunten Siedlung, die aus zehn baufälligen Hütten bestand.
Aus dem Wald drang Krachen und Knirschen, als ob sich etwas Großes hindurch bewegen würde.
»Ho!«, rief er und rannte zum Tor. »Ich brauche eure Hilfe!«
Hinter den Palisaden erschienen drei mit Speeren bewaffnete, vermummte Gestalten, die Lodrik aufmerksam beobachteten.
»Ich werde von einem Untier verfolgt. Bitte, lasst mich rein!«
Einer schüttelte stumm den Kopf und bedeutete dem Gouverneur wegzugehen, die anderen hoben die Speere.
»Versteht ihr nicht? Ich will rein! Ich bin der Gouverneur!« Lodrik stand fast unmittelbar vor dem Holztor. »Das Ungeheuer ist direkt hinter mir. Bitte, ich habe viel Gold!«
Wieder schüttelte der Mann den Kopf, seine Begleiter schwenkten drohend die Speere und gaben seltsam stöhnende Laute von sich.
Das Krachen im Unterholz wurde lauter, Lodrik machte einen Satz nach vorne und trommelte verzweifelt an das Holz.
Über ihm erschien ein vierter Mann, der keinen Schal vor dem Gesicht trug, und Lodrik erstarrte.
Der Großteil der rechten Gesichtshälfte bestand aus verrottendem Fleisch, das Auge war halb eingefallen und nur als erbsengroßes, schwarzes Etwas zu erkennen. Der Fäulnisprozess hatte einen Teil der Wange bereits zerstört, der Junge sah auf verfärbte Kieferknochen und Zahnstummel.
Keuchend wich Lodrik zurück und begriff, vor was er stand. Er hatte eines der so genannten Totendörfer gefunden, Orte, wo die Einwohner Tarpols solche Menschen hinbrachten, die an unheilbaren oder ansteckenden Krankheiten litten. Ausgestoßene, Krüppel oder Missgeburten würden ebenso hierher verfrachtet, um zu sterben.
»Verschwinde, Junge«, sagte der Mann undeutlich. »Besser, du wirst von dem
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