Schatten über Ulldart
anstrengendsten Übungen und harter Disziplin, doch letztendlich konnte Lodrik die Veränderungen am eigenen Leib sehen und spüren, was ihn zum Durchhalten und Weitermachen anspornte.
Er strengte sich im Umgang mit dem Säbel besonders an, und wenn er auch nicht unbedingt das war, was Waljakov unter einem Naturtalent verstand, so entwickelte er sich zu einem listenreichen Fechter, der den ungewöhnlichen Stil seines Lehrers sehr gut imitieren konnte.
Der Leibwächter ließ den Gouverneur auch gegen Mitglieder der Wache antreten, und seit kurzem verlor er die wenigsten Kämpfe.
Inzwischen verstand Lodrik die Papiere, die sich in der Kanzlei nicht mehr zu unüberschaubaren Bergen stapelten, sondern fein säuberlich geordnet in Regalen standen. Der Statthalter hob sehr zur Freude der Granburger vier schikanöse Erlasse Jukolenkos auf.
Nun durften sich die Menschen Windbruchholz ohne Entgelt als Feuerholz nehmen und ihre Schweine zur Mast in die Eichenwälder treiben. Die zusätzliche granburgische Kopfsteuer, die Jukolenko zur Deckung von »Verwaltungskosten« eingeführt hatte, fiel ebenso weg wie die erweiterte Getreideabgabe an den Gouverneur.
Die Bücher verrieten, dass der alte Statthalter die vielen Kornsäcke keineswegs zum Selbstbedarf, sondern zum Weiterverkauf genutzt hatte. Den belegten Amtsmissbrauch wollte Lodrik bei passender Gelegenheit nutzen, sollte es zum Prozess gegen seinen Vorgänger kommen.
Jukolenko hatte sich mit seiner Frau voller Wut auf seinen Landsitz zurückgezogen. Dort tagte er unentwegt zusammen mit den anderen Großbauern und Adligen, um eine Lösung für das Problem zu finden, das seit dem Erscheinen Lodriks immer größere Ausmaße annahm.
Waljakov ließ das Haus des ehemaligen Statthalters unter Beobachtung stellen und hatte ein kleines Netz von Spitzeln aufgebaut, das ihn ständig über die neuesten Absichten der konspirierenden Adligen und Brojaken unterrichtete.
Leider war der Erfolg nur mäßig, da die Männer ohne die Anwesenheit von Dienern berieten. Und ohne Diener blieben die Nachrichten reine Vermutungen, gezogen aus aufgeschnappten Bemerkungen oder unvorsichtigen Wortwechseln.
Bisher hatte es noch keiner gewagt, offen gegen den jungen Gouverneur vorzugehen, aber der Leibwächter schätzte, dass es nicht mehr lange dauern könnte, bis sich das drohende Unwetter entlud. Doch er war darauf vorbereitet.
Miklanowo brachte Lodrik viel über die granburgische Mentalität bei. Sagen und Märchen der Provinz zu lesen gehörte genauso zum Tagespensum wie mit Leuten zu reden, die ihm der Großbauer vorstellte.
Ging es um gerichtliche Streitfälle, bei denen die Sachlage nicht ganz klar erschien, entschied Lodrik meistens zu Gunsten des Schwächeren, was ihm mehr Ansehen beim einfachen Mann als bei den reichen Kaufleuten einbrachte. Letztendlich waren dem Gouverneur die Stimmen der Granburger lieber als die der Ontarianer und anderen betuchten Krämer. Und sein erster Fall, die Sache mit dem Schweinehändler und dem Landpächter, erlangte einen Berühmtheitsgrad, wie es sich manche Schreiber für ihre Bücher wünschten.
Trotzdem blieb das Volk auf der Straße dem Gouverneur gegenüber zurückhaltend und vorsichtig, die Audienzstunden wurden eher spärlich besucht. Das Fest, das er anlässlich seiner Einsetzung gegeben hatte, war wohl registriert worden, aber von einer berauschenden Teilnahme seitens der Granburger konnte man wirklich nicht sprechen.
Miklanowo war trotzdem der Ansicht, dass Lodrik bald auch ohne seine Hilfe auskommen würde, und kündigte zum Winter seinen Rückzug aus dem Palast an, um dem Gouverneur eine noch größere Selbstständigkeit in Verwaltungsfragen einzuräumen.
Lodrik, nachdem er sein grundlegendes Interesse an Frauen entdeckt hatte, auch wenn sich die Erfahrung mit seiner Cousine zunächst noch nachhaltig abschreckend auswirkte, übte sich im höflichen, beredten Umgang mit dem weiblichen Geschlecht.
Diesen durchaus interessanten, wenn auch kompliziertesten Unterricht, wie der Gouverneur fand, erhielt er von Stoiko, der ziemlich viel davon zu verstehen schien. Auch Waljakov steuerte seinen Teil dazu bei, obwohl er, das hatte Lodrik verstanden, zurückhaltender war, während sein Vertrauter die kurze, geistreiche Unterhaltung bevorzugte, um dann unmissverständlich zur Sache zu kommen.
Der junge Mann beschloss, in Zukunft eine gesunde Mischung aus beidem zu versuchen, wohl wissend, dass er nicht der begnadetste Redner unter den Sonnen war.
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