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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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regelmäßigen Abständen und markierten die einzelnen Funktionsbereiche: Küche, Sitzecke, Arbeitstisch und … Studio? Eine lange Reihe von Bildschirmen erinnerte an Gizmos Keller. Nur dass hier auch noch ein riesiges Pult mit Schiebereglern sowie zwei Keyboards standen.
    »Hier machst du also deine Musik!«, rief Zoë aus. »Also sind alle Stücke auf dem iPod von dir, nicht wahr? Du hast allein weitergemacht, nachdem du Ghost verlassen hattest.« Sie deutete auf die Instrumente. »Synthesizer.«
    »Tja«, sagte Irves trocken, »so sieht’s aus. Jetzt friert hier bloß nicht fest.«
    »Hast du die Wohnung als Studio gemietet?«, wollte Gizmo wissen.
    Irves biss sich auf die Lippe und zögerte. Ich bildete mir ein, dass er tatsächlich rot wurde. Dann seufzte er, als würde er resignieren. »Nein«, antwortete er. »Die Bude gehört mir. Und wenn ihr es ganz genau wissen wollt: ein Teil der Buddha Lounge ebenfalls. Ich habe mich eingekauft und bin stiller Teilhaber.«
    Wir mussten alle drei ziemlich belämmert geschaut haben, denn er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    »Keine große Sache!«, meinte er. »Meine Eltern haben die Wohnung vor Jahren gekauft, als es so aussah, als würde der nächste Botschafterjob sie hierherführen. Damals war das Haus noch eine gute Adresse und die Lounge ein Nobelrestaurant. Na ja, dann sind wir doch in London gelandet und das Loft stand fast zehn Jahre ungenutzt herum. Und als mein Vater und ich uns in die Haare geraten sind, dachte ich, ich lasse mir Schlag achtzehn mein Erbe in Form dieser Wohnung vorab ausbezahlen und verschwinde.«
    Seit ich Rubios Mail gelesen hatte, grübelte ich darüber nach, wie Irves zu seinem Schatten gekommen war. Jetzt fielen mir Rubios Worte ein: »Es geschieht immer in einer Lebensphase, wenn nichts fest gefügt ist, wenn Zweifel und Neuorientierung anstehen, wenn der Druck zu groß wird. Und manchmal auch, wenn die Kluft zwischen dem, was dein Herz will, und dem, was du dich zu tun und zu sein zwingst, zu groß ist.«
    »Dein Vater wollte also nicht, dass du Musik machst?«, fragte ich.
    Die Schwingung zwischen Irves und mir veränderte sich kaum merkbar und strafte so seinen betont coolen Tonfall Lügen.
    »Er hasste sie«, sagte er leichthin. »Er ist zwar ein Diplomat, aber im Grunde ein autoritärer Psychopath. Er hat mich zwei Jahre lang in ein ›Internat‹ gesteckt, das eher eine militärische Kaderschmiede war. Die sollten mir alles austreiben, was meinem Vater an mir nicht passte. Ein paar Narben habe ich heute noch davon. Netter Versuch. Mit dem Ergebnis, dass ich ihn am Ende noch mehr hasste als er meine Musik.« Er hob die Schultern und umfasste mit einer Geste alles, was wir sahen. »Tja, ich fand, dafür sollte er zahlen. Damit sind wir quitt – und ich habe etwas, das besser als eine Band ist.« Er setzte wieder sein altes cooles Irves-Lächeln auf. »Die Musik in der Lounge stammt zum größten Teil von hier.« Er tippte auf den Synthesizer und schlug einen Akkord an. Ein elektronischer Dreiklang, so leise gestellt, dass er für unsere Ohren angenehm war, füllte das Loft.
    Gizmo schritt durch den Raum und ließ sich ohne Rücksicht auf seine Schürfwunden auf die weiße Ledercouch fallen. »Du verfluchter Heuchler!«, rief er. »Das reiche Erbensöhnchen. Du hast das perfekte Lager hier und sagst keinen Ton.«
    »Ja, weil ich nicht wollte, dass Typen wie du auf meiner Couch rumlungern«, gab Irves zurück. Und fügte hinzu: »Auf jeden Fall sind wir hier erst einmal sicher.«
    Er ging zu der Küchenzeile und riss den Kühlschrank auf. Stapel von säuberlich abgepacktem Fleisch, Flaschen und Getränkedosen mit einer asiatischen Aufschrift türmten sich darin. Irves holte einige davon heraus und brachte sie zum Couchtisch. »Na los, kommt schon!«, sagte er in die Richtung von Zoë und mir. Als hätte seine Aufforderung die Spannung aus der Luft genommen, war ich plötzlich nur noch müde und traurig. Ich warf Zoës Schlüsselmäppchen auf den Couchtisch und setzte mich. Zoë nahm den Sessel, der meinem gegenüberstand. Auf dem weißen Leder sah sie aus wie Schneewittchen in einem Bett aus Schnee. Es gab mir wieder einen Stich, wenn ich mir vorstellte, was sich hinter dieser zarten Gestalt verbergen mochte. Ein Tiger?
    »Bedient euch«, sagte Irves und nahm sich eine Getränkedose. Als er sie öffnete, strömte ein salziger Duft heraus, und ich begriff, dass es Fischsuppe war. Ich hatte nicht gewusst, dass es

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