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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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quollen unter den geschlossenen Lidern hervor. Es tat mir weh, sie so zu sehen. Ich dachte noch einen Augenblick daran, dass sie Maurice und die anderen auf dem Gewissen hatte, und zögerte. Doch dann schickte ich meine Vernunft zum Teufel, rückte an sie heran und legte den Arm um sie. Dass ich das konnte, erstaunte mich am meisten von allem. Aber es schien mit einem Mal richtig zu sein: Egal, was gewesen war – hier und jetzt war sie Zoë. Sie schmiegte sich an mich, während Irves Gas gab.
    Er bog in die Clubmeile ein und fuhr in eine Seitenstraße, die ich noch nicht kannte. Dort parkte er den Lieferwagen im Sichtschutz eines Schuttcontainers in einem Hinterhof. »Geht zwischen den Häusern durch zum nächsten Innenhof«, befahl er. Ratlos befolgten wir die Anweisung. Vom Innenhof aus führte er uns zu einem Lieferanteneingang, neben dem eine ganze Reihe von Mülltonnen stand. Zertretene Kippen deuteten darauf hin, dass hier öfter Leute Pause machten, um zu rauchen. Vermutlich war das der Hintereingang eines Clubs oder eines Restaurants. Ich konnte mir nur keinen Reim darauf machen, von welchem. Irves sprang mit einem geschmeidigen Satz an der Wand hoch, hangelte sich zwei Meter weiter hinauf und griff in eine Nische. Als er auf den Boden sprang, hatte er einen Schlüssel in der Hand.
    »Kommt mit«, sagte er, während er auf eine schmale, unscheinbare Seitentür zuging, die fast gänzlich versteckt war. Als wir hindurchtraten und sich der Geruch von Putzmittel, feuchtem Steinboden, Goldlack und abgestandenen Thekendämpfen in meiner Nase fing, wurde mir endlich klar, wo wir uns befanden.
    »Du lebst in der Buddha Lounge ?«, fragte ich fassungslos.
    »Ganz sicher nicht«, antwortete Irves trocken und deutete an die Decke. »Ein paar Stockwerke weiter oben.«
    Wir staunten nicht schlecht, als er uns durch einen Gang an Lager- und Kühlräumen vorbeiführte und dann zu einem schmalen Fahrstuhl lotste, der sich mit einem Surren in Bewegung setzte. So schäbig er von außen wirkte – die Spiegel innen waren geputzt. In der Kabine standen wir eng zusammengedrängt und konnten unsere zerschrammten, bleichen Gesichter, die bloßen Schultern und Arme in den Spiegeln betrachten. Es war viel zu nah. Die aggressive Spannung zwischen uns wurde mit jedem Stockwerk dichter, als würde unsere Haut sich allein durch die erzwungene Nähe statisch aufladen. Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen, und bemerkte, dass Gizmo die Hände so fest zu Fäusten geballt hatte, dass die Knöchel weiß hervortraten. Zoë starrte nur zu Boden. Wieder umhüllte sie dieser fremde Hauch. »Wirklich alles okay?«, flüsterte ich ihr zu. Sie schluckte krampfhaft und nickte etwas zu heftig. Endlich ruckelte es und die Türen öffneten sich. Und dann wurde mir klar, dass ich nichts, rein gar nichts über Irves wusste.
    Der Fahrstuhl war einer von der Sorte, die direkt in eine Wohnung führt. Davon hatte ich gehört, aber noch nie einen gesehen. Auf Zehenspitzen traten wir auf poliertes Parkett. Sogar Gizmo vergaß für einen Moment den Verlust seiner Höhle und stieß einen leisen Pfiff aus. »Mann, hast du dafür einen umgebracht?«, sagte er anerkennend. »Das ist ja ein richtiges Loft!«
    Ich weiß nicht, was ich mir gedacht hatte. Vielleicht hatte ich mir vorgestellt, dass Irves wie »Mr Thomas O’Malley the Alley Cat« von den Aristocats auf den Dächern schlief und in Bäumen hockte, wenn ihm nichts Besseres einfiel. Nun, das hier war so ziemlich das Gegenteil von allem, was ich für möglich gehalten hätte. Gut, damit war auch die Frage beantwortet, wohin Irves am Tag verschwand. Die Buddha Lounge war stets seine letzte Station – klar, er verließ sie nicht, sondern fuhr einfach mit dem Fahrstuhl in sein anonymes Ruherevier.
    Die Wohnung war riesig – ein langer, mehrfach unterteilter Raum, der entfernt an eine Fabrikhalle erinnerte. Das Tageslicht fiel nur sehr gedämpft durch graue Jalousien. Das Parkett war dunkel und roch nach Orangenöl und Firnis, die Möbel waren dagegen weiß und teuer. Sehr teuer. Eine weiße Ledercouch und mehrere Sessel in der Ecke vor dem Fenster bildeten die Sitzgruppe, der eckige Klotz von Couchtisch war aus Marmor. In einer solchen Wohnung hätte ich Gemälde erwartet, aber die Wände waren kaum anders als in meiner Wohnung. Nur dass hier Notizen und ausgerissene Fetzen von Berichten über Musikgruppen und CD-Cover mit Tesafilm an die Wand geheftet waren. Raumteiler unterbrachen das Loft in

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