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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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anderen zu meiden, noch immer verstörte sie das Doppelbild mit dem Schatten. Sie sah sie noch immer: geschmeidige Raubkatzen, die sich in stummer Pantomime anfauchten und die Zähne zeigten, während die Menschen, zu denen sie gehörten, sich stritten. Hoffentlich geht es vorbei , betete sie und drückte Leon an sich. Irves fuhr weniger halsbrecherisch als Gizmo, er nahm Seitenstraßen und versuchte, nicht aufzufallen. Die Fahrt in das ruhige Wohngebiet war wie eine Reise in eine andere Welt – eine Welt der Vergangenheit, in der alles seinen Platz gehabt hatte und die Probleme im Grunde nur Ahnungen richtiger Schwierigkeiten gewesen waren.
    »Das da vorne ist es«, sagte sie und Irves hielt vor dem beige gestrichenen Haus mit den dunkelbraunen Läden. Sobald Gil die Schiebetür aufgemacht hatte, kletterte Leon aus dem Wagen und rannte zur Tür voraus, offenbar unendlich froh, flüchten zu können. Zoë krampfte es das Herz zusammen, als sie sah, wie er Sturm klingelte. Bitte sei da! , flehte sie in Gedanken, während sie aus dem Auto stieg. Mit weichen Knien ging sie zur Haustür. Und immer noch spürte sie die Bewegungen des grauen Raubtiers in ihren eigenen Schritten. Sie versuchte nach der Grenze zu tasten, aber erstaunlicherweise war da nichts mehr. Später! , befahl sie sich. Du kannst später darüber nachdenken!
    In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. Ellen hatte offenbar keine gute Nacht hinter sich. Ihre Augen waren rot und verschwollen, als hätte sie geweint, und ihr Haar war zerzaust. Sie trug den Bademantel, in dem sie am Wochenende frühstückte, und darunter das T-Shirt, das Zoë ihr einmal geschenkt hatte. Prinzessin Mononoke, die auf der weißen Wölfin ritt, war darauf abgebildet. Japanisches Durga-Girl , dachte Zoë müde. Zur Abwechslung mal ohne Tiger.
    »Elli!«, sagte Leon mit kläglicher Stimme.
    Eben hatte Ellen noch sauer über die Störung gewirkt, jetzt aber riss sie die Augen auf. »Lenni-Löwchen!«, rief sie erstaunt. »Was machst du denn hier?« Dann hob sie den Blick, entdeckte Zoë und erstarrte. Es war wirklich wie in einer anderen Welt. Eine Zeitreise durch viele Wochen. Zoë kam es so vor, als würden Bilder und Gedanken zwischen ihnen wirbeln und sich zu einer Wolke vermischen. Ellen hat Liebeskummer , dachte sie. Sie vermisst David wirklich. Und gleichzeitig wurde sie sich dessen bewusst, dass Ellen ihre geschundene Wange sah, ihre am Knie zerrissene, verschmutzte Hose. Das letzte Restchen Feindseligkeit zwischen ihnen verglühte und löste sich auf.
    »Hallo«, sagte Zoë. Sie klang nicht viel besser als Leon. Und Ellen trat einfach auf sie zu und umarmte sie. Zoë schloss die Augen und klammerte sich an ihre Freundin. Für einige Sekunden war alles gut.
    »Du hast Ärger«, stellte Ellen leise fest.
    Zoë nickte heftig und machte sich vorsichtig aus der Umarmung los.
    »Was ist passiert?«
    »Ich kann es dir nicht erklären. Aber ich brauche deine Hilfe, ich muss Leon bei dir lassen. Meine Mutter kommt erst in ein paar Stunden von einer Fortbildung zurück. Bitte pass so lange auf ihn auf. Und ruf sie bitte an. Sag ihr… sag ihr, ich bin unterwegs, ich… musste ganz dringend weg. Aber ich melde mich bei ihr, sie soll sich keine Sorgen machen. Und… ich glaube, in unsere Wohnung ist jemand eingebrochen. Im Telefonbuch findest du die Nummer von unserem Hausmeister.«
    »Boran?«
    Zoë nickte. »Er soll nachschauen, ob bei uns eingebrochen wurde – und notfalls die Polizei rufen.«
    Ellen war blass geworden und musterte sie besorgt. Zoë konnte ihr ansehen, wie viele Fragen ihr auf der Zunge lagen, aber ihre Freundin kannte sie viel zu gut, um sie jetzt zu bedrängen. Leon sagte irgendetwas und drückte sich an Zoë, doch keine von ihnen beiden hörte auf den Jungen.
    »Ellen? Wer ist das an der Tür?«, kam die Stimme von Frau Gerber aus der Tiefe des Hauses.
    »Gleich, Mama!«, rief Ellen unwillig über die Schulter zurück und zog die Tür hinter sich heran.
    Dann schenkte sie Zoë ein ernstes Lächeln und nickte. »Okay«, flüsterte sie und streckte die Arme nach Leon aus. »Komm zu mir!«
    Leon fing sofort wieder an zu heulen, als er begriff, dass Zoë nicht bleiben würde.
    »Danke!« Zoë formte das Wort fast unhörbar mit den Lippen, dann drehte sie sich um und ging zum Wagen, bevor ihr Bruder sehen konnte, dass sie kurz davor war zu heulen.
     

Zoom
    Zoë hielt wieder die Augen geschlossen und kauerte sich neben einer Kiste zusammen. Tränen

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