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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Holz, das sie aufgehoben hatte, sondern griff ins Leere und ballte sich zur Faust. Ihre Fingerknöchel strichen über eine kalte Metallfläche. Ihr Körper schien sich krampfhaft an etwas erinnern zu wollen, die Muskeln wussten, dass sie gelaufen war, eine Prellung am Ellenbogen erzählte, dass sie gestürzt sein musste, außerdem hatte sie ein kaltes, taubes Gefühl am Unterschenkel. Aber in ihrem Gedächtnis war nur unbarmherziges, wolkiges Grau.
    Offenbar hatte sie den Hund abgeschüttelt. Vielleicht war sie dabei ausgerutscht, gestürzt und kurz ohnmächtig geworden? Gehirnerschütterung? Das würde den Blackout erklären, unter dem sie ganz offensichtlich litt. Ruhig bleiben, befahl sie sich. Alles halb so schlimm, ich bin bei Bewusstsein. Kein Kopfschmerz, keine Übelkeit, kein Schwindel. Und Arme und Beine spürte sie ebenfalls. Hoffentlich bin ich nicht in eine Baugrube gefallen . Aber da waren keine Wände, die neben ihr aufragten, und auch keine Häuser. Nur ein Kran. Beziehungsweise der oberste Teil eines Krans, erschreckend groß und so nah, dass sie sogar den Greenpeace-Aufkleber an der Scheibe der Kranführerkabine erkennen konnte. Sie brauchte weitere fünf Sekunden, um wirklich zu begreifen, dass sie auf einer Höhe mit der Kabine war. Ihre Gelenke knackten, als sie sich herumwälzte, sich auf ihren zitternden Armen mühsam in eine sitzende Position hochstemmte und sich umsah.
    Der Schwindel erfasste sie so jäh, dass sie sich unwillkürlich duckte und nach Luft japsend auf allen vieren verharrte. Alles Blut schien innerhalb von einer Sekunde aus ihrem Kopf zu fließen. Sie befand sich auf dem Flachdach des Hauses! Über dem sechsten Stock!
    Ein Windstoß drückte gegen ihre Seite und ließ sie vor Schreck aufschreien. Für einen Moment war sie überzeugt, dass der Wind sie zum Abgrund schieben würde, unaufhaltsam, bis sie die Kontrolle verlieren und stürzen würde. Keuchend rutschte sie auf allen vieren zurück. Mit einem metallischen Schaben rutschten die Schlüssel an ihrem Handgelenk über das verzinkte Dachblech. Endlich stießen ihre Sohlen gegen die erhöhte Klappe in der Mitte des Dachs. Bei dieser Gelegenheit stellte sie fest, dass sie keine Schuhe mehr trug. Und als sie einen irritierten Blick über die Schulter warf, entdeckte sie, dass der Hund das linke Hosenbein erwischt hatte. Zwei lange Risse zogen sich vom Knie bis zum verdreckten Hosensaum. Zitternd klammerte sie sich an den Riegel der Klappe. Er war zugeschnappt, sie musste sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegenlehnen, um ihn wieder aufzuhebeln. Verklebte Gummidichtungen lösten sich mit einem schmatzenden Ratschen.
    Die Panik wurde schlagartig besser, sobald der muffige Geruch des Treppenhauses ihr in die Nase drang. Zittrig tastete sie mit dem Fuß nach der obersten Holztreppe. Während sie Zentimeter für Zentimeter in die Sicherheit des Hauses zurückglitt, versuchte sie fieberhaft, die vergangene halbe Stunde (Oder eine ganze Stunde? Oder zwei?) zu rekonstruieren. Keine Chance. Sie musste tatsächlich gestürzt sein und dadurch einen kurzzeitigen Gedächtnisverlust erlitten haben. Leichte Gehirnerschütterung ohne die typischen Symptome? Unten an der Treppe angekommen, tastete sie ihren Kopf ab und zuckte zusammen, als sie eine schmerzhafte Schwellung am Hinterkopf fand. Sie war also hingefallen und hatte sich wieder aufgerappelt. Dann war sie offenbar die Treppen hochgehetzt, bis zur Dachtreppe und dann aufs Dach. Sonst – sie schauderte bei der bloßen Vorstellung – müsste sie an der Außenseite des Gebäudes über die verrostete Feuerleiter hinaufgeklettert sein. Und das war ganz und gar unmöglich.
    Rasch schloss sie die Klappe über sich und schlich hinunter bis zu ihrer Wohnungstür. Sie war immer noch angelehnt. Sie huschte ins Bad und entledigte sich der zerrissenen Hose. Hastig knüllte sie sie zusammen und stopfte sie ganz unten in die Schmutzwäsche. Ihr Blick fiel auf ihre Hand. Getrocknete bräunliche Flüssigkeit klebte am Daumenballen und unter den Fingernägeln. Mit einem schnellen Blick vergewisserte sie sich noch einmal, dass sie nicht blutete. Nein, das hier musste noch von dem rohen Gulasch stammen. Und wenn nicht, dann hoffentlich von dem verdammten Köter!, dachte sie grimmig.
    Angewidert griff sie nach der Seife und der Nagelbürste und begann die Haut und die Nägel unter heißem Wasser sauber zu schrubben. Sie war so verbissen und wütend bei der Sache, dass sie die Gestalt in der Tür

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