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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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sehen ist.
    Jetzt hatte ich plötzlich Herzrasen. Ich reckte den Hals und spähte durch die Lücken zwischen den Köpfen zum Basketballplatz. Hinter den Regenschirmen konnte ich nicht viel erkennen. Irgendwo am Rand tauchte jemand mit rotem Haar in die Menge ab und verschwand. Vermutlich Barb, die sich vom Acker machte. Einen Augenblick überlegte ich, ob ich ihr folgen sollte, aber sie würde ohnehin kein Wort mit mir reden. Also versuchte ich mir selbst ein Bild zu machen. Ich sah ein leuchtend orangefarbenes Stück Tartanbahn, außerdem gestreifte Absperrbänder der Polizei, die im Wind schaukelten. Ein Unfall? Oder Schlimmeres? Im Hintergrund liefen einige Polizisten herum, sicherten Spuren.
    Vorsichtig schob ich mich an ein paar Gaffern vorbei. Mein Gesicht musste einige erschrecken, vielleicht nahmen sie auch mein Anderssein wahr. Mir war es nur recht, dass sie Platz machten. Links neben dem Zaun, ein ganzes Stück hinter einem abgesperrten Terrain, parkte der Übertragungswagen eines Fernsehsenders. Ein Kameramann, dem das Wasser in den Kragen lief, hielt tapfer die plastikgeschützte Kamera. Doch der Reporter stand ungünstig. Durch den Geräuschteppich der Leute und den Wind, der die Worte in die andere Richtung trug, schnappte ich nur einzelne Sätze auf.
    »Heute Morgen um sieben Uhr … aufgefunden … Hinweise an die Polize i …«
    »Scheiß-Gangs«, brummte ein massiger Mann, der mir die Sicht versperrte.
    »Quatsch, ist bestimmt nur von der Brücke da oben gesprungen«, antwortete ein anderer mit einem kantigen kahlen Schädel.
    »He, was ist da passiert?«, rief ich den beiden zu. »Wen hat es erwischt?«
    Die beiden drehten sich abrupt nach mir um und glotzten mich an.
    »Offenbar dich«, knurrte Quadratschädel. »Was hast du denn gemacht? ’ne Gruppe von Iren beleidigt?«
    Er erntete ein paar Lacher von den Umstehenden, doch meine Frage beantwortete er nicht. Dann drehte plötzlich der Wind.
    Und ich wusste es auch so.
    Meine Nasenflügel blähten sich und ich konnte nicht anders als einzuatmen und zu wittern. Es war wie ein Reflex. Ich hasste es und konnte doch nichts dagegen tun. Im Bruchteil einer Sekunde rutschte ich gefährlich nah an die Grenze zur anderen Seite. Meine Wahrnehmung veränderte sich. Das Orange der Tartanbahn, ein purpurroter Regenschirm und ein schreiend karminroter Lippenstiftmund – all das verblasste zu einem Grauschleier. Ich stand da wie ein Idiot und spürte dem Blutgeruch nach, der einen Teil meines Verstandes auszuknipsen drohte. Erst als Quadratschädel an mich herantrat, holte eine Wolke von stechendem Aftershave mich in die Welt der Farben zurück.
    Der Kerl starrte mir misstrauisch in die Augen.
    »Junge, ich geb dir ’nen guten Rat«, raunte er mir dann mit aufdringlicher Vertraulichkeit zu. »Du solltest wirklich besser die Finger von den Drogen lassen.«
    »Wer ist tot?« Ich brachte es gerade so heraus, ohne ihn anzuschreien. »Ist es … ein Mädchen?«
    Quadratschädel runzelte die Stirn, dann schüttelte er zu meiner unendlichen Erleichterung den Kopf. »Nee, irgendein Opa. Oder vielleicht auch ’ne alte Frau. Muss noch identifiziert werden. Die Polizei rückt nichts raus.«
    Ich blickte hoch zur Brücke. Unwahrscheinlich, dass jemand von dort oben gesprungen war. Ich hatte getrocknetes Blut gewittert, also musste es sich irgendwo befinden, wo der Regen nicht hinkam. Von der Tartanbahn hätte der Regen es längst abgewaschen, also befand es sich unter dem überdachten Stück am Rand. Dann hätte der Mann beim Absturz wie Superman eine Kurve fliegen müssen.
    Wollte er unters Dach flüchten? , überlegte ich. Hat sich der Fluchtweg dann als Sackgasse und damit als Falle entpuppt?
    Eine Bewegung ließ mich innehalten. Goldbraune Augen und ockerschwarzes Fell. Polizeihunde! Nicht gut. Im Gegensatz zu den Rentnertölen waren die Schäferhunde Kummer gewöhnt und ließen sich nicht so einfach einschüchtern. Gleich würde es ein Riesentheater geben. Als der Hund nun auch prompt so aggressiv in meine Richtung bellte, dass die ganze Gafferfront einen erschrockenen Schritt zurücktrat, machte ich, dass ich wegkam.
     
    Was auch immer sie in der vorigen Nacht erlebt hatte, von einer Gehirnerschütterung war sie weit entfernt. Bis auf einen leichten Muskelkater in Rücken und Schultern und die Beule am Kopf spürte sie nichts. Keine Kopfschmerzen. Keine Übelkeit. Nicht einmal besonders müde war sie. Wenn sie ehrlich war, hatte sie sich schon lange nicht

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