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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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giltst du als Läufer und wirst gejagt, bis du dich vor lauter Panik zum ersten Mal in deinen Schatten flüchtest. Manche überleben es nicht. Du hattest Glück, du hättest stürzen können. Oder überfahren werden.« Ich musste mich räuspern, bevor ich weitersprechen konnte. »Aggression oder Angst, beides kann jederzeit den Übergang auslösen. Aber man kann lernen, den Schatten zu unterdrücken. Man kann lernen, den anderen aus dem Weg zu gehen und den Schatten im Käfig zu halten.« Ich redete, als würde ich mich selbst überzeugen wollen.
    Sie ließ sich etwas tiefer in meine Umarmung sinken. Das war der Moment, in dem ich mir trotz allem wünschte, dass Gizmo durch eine Welle von roten Ampeln noch ein paar Minuten länger aufgehalten wurde.
    »Du … hast es also auch.« Nur an der dünnen, hohen Tonlage ihrer Stimme konnte ich hören, dass sie versuchte, den Abstand zwischen sich und dem Abgrund zu vergessen. Worte der Normalität, die sicheren Grund boten. Vielleicht spürte sie gerade, dass sie wieder abrutschte – zur Grenze hin. Unwahrscheinlich war es nicht. Wem hätten diese Neuigkeiten keine Angst gemacht? Jedenfalls atmete sie so hastig, dass ich fürchtete, der Schatten würde sie jeden Moment wieder erreichen. Das wäre schlecht. Sehr schlecht. Vorsichtshalber schloss ich meine Hände um ihre Fäuste.
    »Ja, ich habe es auch. Und Irves, und … einige andere aus der Stadt.«
    »Irves auch?« Ihre Stimme klang tonlos. »Dann war es kein Zufall, dass wir uns kennengelernt haben.«
    »Ja. Wir wussten beide, dass du dich bald verwandeln würdest.« In eine Raupe mit einem Flügel? »Die drei Kerle, die dich gejagt haben, sind auch von unserer Art. Insgesamt gibt es dreizehn von uns in der Stadt.« Minus Barb. Plus Zoë. »Das heißt: mit dir jetzt vierzehn.«
    Ihr Atem ging immer noch zu schnell und war viel zu flach.
    »Deshalb bist du mir die ganze Zeit nachgelaufen«, murmelte sie. »Du wolltest gar nichts von mir.«
    Es klang verlegen. Ich hoffte, sie würde nicht spüren, wie mein Herz schneller schlug.
    »Ja«, antwortete ich alias Feigling Gil. »Deshalb bin ich dir gefolgt. Damit dir nichts passiert. Nichts Schlimmeres, meine ich.«
    »Dann bist du Panthera 92. Und Mauric e …«
    »Nummer 12.«
    »Hattest du … warst du schon immer so?«, fragte sie.
    Beinahe hätte ich gelacht. Aber es wäre ein bitteres Lachen gewesen.
    »Seit ein paar Monaten«, sagte ich leise. »Und ich erinnere mich leider an ziemlich vieles.«
    Der Mann auf der Straße. Das viele Blut auf dem Pflaster.
    Nun beschleunigte mein Puls so sehr, dass sie es spüren musste, und tatsächlich spannte sie sich ein wenig an. Im selben Moment klickte das Handy in der Fleecejacke. Bevor Zoë reagieren konnte, griff ich in ihre Tasche und zog das Telefon hervor.
    »Wie sieht’s aus? Hast du sie?«, brüllte Gizmo gegen den Motorlärm an.
    »Ja. Wir sind auf der hinteren Plattform. Vierter Pfeiler, Nordseite. Komm schnell!«
    »Ich kann auf der Brücke nicht halten«, antwortete er ungerührt. »Hier ist eine Spur gesperrt und ein Stück weiter vorn steht Polizei, da gab es irgendeinen Auffahrunfall. Ich fahre zum Kreisel hinter der Brücke und stell mich hinter die Dönerbude. Beeil dich!«
    Klick.
    Na prima. Ich spähte nach unten und versuchte mir einen Plan zurechtzulegen. Wenn Zoë Höhenangst hatte, würde sie nicht klettern können. Aber mit etwas Glück würden wir es über die Anordnung der anderen Plattformen zum Fußgängerweg schaffen.
    »War das Irves?«, wollte sie wissen.
    »Nein, Gizmo. Ein … ein Freund. Er holt uns ab.«
    »Sollen wir da etwa allein runterklettern?« Schon die Vorstellung brachte ihre Stimme zum Beben. »Warum rufst du nicht einfach die Feuerwehr?«
    »Wenn du möchtest, mache ich das. Allerdings wirst du dann erklären müssen, was du hier oben zu suchen hattest. Sie werden dich ins Krankenhaus bringen – oder vielleicht gleich zur Polizei. Sie werden dich verdächtigen, Drogen genommen zu haben oder betrunken zu sein. Du bist noch zu sehr im Schatten – man sieht deinen Augen an, dass etwas nicht stimmt. Pupillen von Raubkatzen verändern sich mit der Stimmung. Wenn dir einer von den Feuerwehrleuten in die Augen schaut, steht auf jeden Fall eine Blutuntersuchung an. Und dann werden sie deine Eltern anrufen, damit sie dich abholen. Vielleicht gibt es sogar eine Anzeige. Ich glaube nicht, dass es erlaubt ist, auf der Brücke herumzuklettern.«
    Sie schluckte schwer. »Keine Feuerwehr«,

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