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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Augen blitzten auf. »Worauf warten wir dann? Drehen wir eine Runde um den Block und sehen nach, ob Shir Khan wirklich verschwunden ist!«
    Gizmo war schneller als ich und er war ungeduldig. Vor allem aber hatte er seine Sinne angeknipst und roch und hörte besser als ich. Wir durchkämmten die Straßen auf der Suche nach Zeichen und Kratzmarkierungen an den Häusern. Keine Spur. Nur Leere. Nicht der leiseste Rest eines Geruchs in der Luft. Nach einer halben Stunde waren wir wieder fast am Ausgangspunkt. Die Baugrube gähnte uns wie ein schwarzes Maul mit einer Zunge aus Bauschutt entgegen. Kiesgeruch, Lehm, Eise n … Nichts Verdächtiges.
    Gizmo beugte sich über den Bauzaun und blickte zu den Kränen hinüber. Er zog die Oberlippe hoch und atmete scharf durch die Nase ein.
    »Riechst du hier irgendetwas?«, fragte ich. Gizmo zuckte mit den Schultern.
    Seine Augen leuchteten wie Spiegel auf, als er sich zu mir umwandte. »Ich weiß es nicht. Aber wenn wir schon hier sind, sollten wir uns das ganze Gebiet anschauen.«
    »Die Baustelle?«
    In der nächsten Sekunde war Gizmo bereits über den Bauzaun geklettert und sprang in die Baugrube. Wie alle Katzen landete er geschmeidig und sicher und schnellte gleich wieder hoch. Ich sah, wie er die Grube durchquerte und auf der anderen Seite über den nächsten Zaun zu dem noch abgesperrten Neubauklotz sprang – so geschmeidig, dass es kaum mehr menschenähnlich aussah. Ich beschloss, dass ich heute genug geklettert war, und lief stattdessen im Bogen um die Baustelle.
    Gizmo ging um einen Kran herum, kletterte probehalber ein paar Meter nach oben und verschaffte sich einen Überblick. Ich stieg über die Absperrung und witterte ebenfalls. Ein Windstoß drückte mir das Aroma von abgestandenem Regenwasser in die Nase. Dann drehte der Wind so plötzlich, dass der Kran in den Scharnieren ächzte. Die Bö ließ einen Haufen von Planen knattern, die mit Steinen beschwert waren. Mir wurde schwindelig bei dem, was ich roch.
    »Gizmo! Hier!«, zischte ich. Er sprang, kam federnd auf und glitt so schnell heran wie der Schatten eines Vogels. Im nächsten Moment stürzten wir uns auf die Plane und räumten die Steine herunter. Und als ich die Plane schließlich mit einem Stück Holz vom Bauschutthaufen anhob, sah ich eine Hand. Ein weiterer Windstoß riss an der nun losen Plane und klappte sie zur Seite wie eine Bettdecke mit Wendefarben: außen schmutzig weiß, innen ein schreckliches Sprenkelmuster in Rotbraun. Eine Weile starrten wir Maurice nur fassungslos an, während der Geruch von getrocknetem Blut uns einnebelte.
    »Zumindest ist Zoë jetzt aus dem Schneider«, stellte Gizmo trocken fest. »Der ist schon seit ein paar Tagen tot. Vielleicht hast du ihn sogar als Letzter gesehen?«
    Vielleicht warst du es ja selbst? , hallte Rubios Stimme mir im Ohr. Plötzlich war mir todübel. Ich keuchte auf und stolperte zurück.
    »Unwahrscheinlich«, knurrte Gizmo.
    Mein Mund war so trocken, dass ich kaum schlucken konnte. »Was?«, fragte ich mit schwacher Stimme, noch immer unter Schock.
    »Na, dass du ihn umgelegt hast. Das denkst du doch, oder? Aber warum hättest du ihn erst in aller Ruhe bestatten sollen, um danach zur Brücke zu flüchten, als sei der Teufel hinter dir her?«
    Er hatte Recht. Meine Knie waren immer noch weich, aber ich nickte erleichtert. »Ich denke, es war derselbe, der Barb erledigt hat«, brachte ich heiser hervor.
    »Das denke ich allerdings auch«, sagte Gizmo nur und schlug die Plane mit dem Fuß wieder um.

Kemal
    Sie hatte von der Brücke geträumt. Und von Gils Gesicht. Doch jedes Mal, wenn sie es genauer betrachten wollte, verschwamm es und ein anderes Gesicht tauchte auf: gelbe Augen, ganz nah. Wie in einer Zeitlupenaufnahme sah sie, wie der Mann mit dem Button vor dem Club Cinema auf sie zurannte. Und die andere Gestalt, viel zu nah. Pupillen, die sich im Licht einer Taschenlampe (wo war eine Taschenlampe gewesen?) zu Schlitzen zusammenzogen. Ein Fauchen, ein Knurren und ein stechender Geruc h …
    Das kann nicht sein , wiederholte sie wie eine Beschwörung. Das bin nicht ich und das passiert nicht mir. Es ist alles ein schlimmer Traum. Ein Irrtum.
    Ihre Augen brannten, als sie blinzelte. Morgenlicht. Baulärm und das Heulen des Windes von draußen. Beim Blick auf die Uhr erschrak sie. 9.1 2 Uhr! Wie war es möglich, dass sie den Wecker überhört hatte? Aber dann fiel es ihr wieder ein – sie hatte ihn gestern überhaupt nicht gestellt. Sie

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