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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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hochgeklappt und tat so, als müsste er etwas überprüfen. In nervtötender Ruhe machte er die Haube zu und riss die Seitentür des Lieferwagens auf. »Hi«, sagte er. »Sie hatten ein Taxi bestellt?«
    Für Gizmos Verhältnisse war der Laderaum relativ leer. Ein paar Kisten, viel zusammengeknülltes Papier. Leere Blisterverpackungen, die unter unserem Gewicht knackten, als wir zwischen zwei Kisten krochen. Im Rückspiegel konnte ich sehen, dass er uns beobachtete. Er wirkte nicht sehr überzeugt von seinem guten Werk. Zoë zitterte wieder, aber als sie sah, dass Gizmo Anstalten machte, in den Süden zu fahren, richtete sie sich auf. »Das ist die falsche Richtung«, sagte sie. »Ich muss nach Hause.«
    »Zum Neubaugebiet hinter dem Planetarium«, sagte ich. Gizmos Spiegelbild runzelte die Stirn und ich antwortete mit einem Nicken. Maurice, ich weiß. Gizmo bremste scharf an der Kreuzung und machte einen filmreifen U-Turn. Der Ruck warf uns zur Seite. Das Streiflicht eines entgegenkommenden Lasters zeichnete Zoës Profil nach. Sie sah unglaublich erschöpft aus. Ihre Zähne schlugen aufeinander, sie klammerte sich verzweifelt an der Gegenwart fest. Ich widerstand der Versuchung, den Arm um sie zu legen.
    »War es bei dir auch so?«, fragte sie leise.
    Schlimmer , dachte ich. Doch ich nickte nur stumm. Warum hätte ich sie noch mehr ängstigen sollen?
    »Ich verstehe immer noch nicht, wie ich da hochklettern konnte.«
    »Alle Katzen sind schwindelfrei. Dein Schatten wusste nur, dass du in Gefahr warst. Die meisten Katzen klettern, wenn sie sich in Sicherheit bringen wollen. Als ich über die Brücke gejagt wurde, bin ich an den Balkonen auf ein Hochhaus geklettert.« Ich schluckte und fuhr fort: »Es wird sich noch einiges ändern in den nächsten Wochen. Du wirst dich verändern, deine Wahrnehmung, deine Gewohnheiten – und auch dein Körper. Es kann sich anfühlen wie Gelenkschmerzen, manchmal auch wie Kopfschmerz. Das bedeutet nur, dass du stärker und schneller wirst. Und du wirst lernen müssen, den anderen … aus dem Weg zu gehen. Es gibt Gesetze, die für uns gelten. Wenn man sie von Anfang an kennt, ist es einfacher.«
    »Warum gibt es so was?«, rief sie. »Wie ist das möglich?«
    Ich konnte nur mit den Schultern zucken. »Ich bin gerade dabei, es rauszufinden.«
    Gizmo bedachte mich mit einem interessierten, scharfen Blick.
    »Liegt es in der Familie?« Jetzt schwang wieder Panik in Zoës Stimme mit. »Hat meine Mutter es auch? Und mein Bruder? Kann er es bekommen?«
    »Mit Vererbung hat es nichts zu tun«, sagte Gizmo über die Schulter. Und spöttisch fügte er hinzu: »›Kann mein Bruder es auch bekommen?‹ Hey, es ist keine Krankheit, klar?«
    Zoë stellte die Frage nicht, aber ich wusste, was sie dachte: Warum ausgerechnet ich?
    Eine Weile schwiegen wir, während Gizmos Lieferwagen die Straße entlangraste.
    Zoë betrachtete ihre bloßen, aufgeschürften Füße und ihre Hände. »Meine Sachen sind weg«, sagte sie kläglich. »Und meine Schuhe.«
    »Gewöhn dich dran«, kam es trocken von Gizmo. »Schon mal eine Katze mit Mantel gesehen? Du platzt zwar nicht gerade wie Hulk aus den Klamotten, wenn es dich erwischt, aber die meisten schaffen sich Platz zum Laufen, indem sie sich alles, was stört, vom Leib reißen. Es ist also besser, du trägst Sachen ohne Knöpfe.« Mit einem Grinsen fügte er hinzu: »Obwohl es sich nackt natürlich am besten klettert.«
    »Das reicht für heute!«, wies ich ihn scharf zurecht.
    Zoë starrte aus dem Fenster. Als die Kräne in Sicht kamen, atmete sie tief durch, als müsste sie sich Mut machen. Ich sah mich nervös um, bevor ich aus dem Wagen stieg. Nun, falls Maurice auftauchen sollte, waren wir immerhin zu zweit. Falsch: z u dritt.
    Zoë zögerte noch einen Moment. Sie sah aus, als wollte sie mir etwas sagen, doch dann stieg sie aus dem Wagen und ging einfach. Mitten auf dem Weg blieb sie kurz stehen und spähte zum sechsten Stock hoch. Sie schien erleichtert zu sein, dass alle Fenster dunkel waren. Vermutlich ging ihre Familie früh ins Bett. Gizmo und ich sahen ihr beide nach, bis die Tür hinter ihr zufiel.
    »Danke fürs Taxi«, sagte ich nach einer Weile. »Dafür schulde ich dir was.«
    »Kein Problem«, erwiderte Gizmo. »Trifft sich ja gut, was? Du und ich … mitten in Maurice’ Revier.«
    Zwei Panthera, ein Gedanke. Ich sah auf meine neue Billiguhr. Kurz vor zehn.
    »Klar, gute Gelegenheit, sich hier mal umzusehen«, murmelte ich.
    Gizmos

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