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Schattenblicke - Thriller

Schattenblicke - Thriller

Titel: Schattenblicke - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen-Susan Fessel
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Eindruck, dass ich ihn falsch verstanden haben muss. Mein Pass? Vollkommen verwirrt starre ich ihn an. Er will meinenPass sehen? Wieso? Ist er etwa Polizist? Das kann doch nicht sein, oder?
    » Pasoš! «, sagt er, und die Falte auf seiner Stirn ist wieder da, tiefer noch als zuvor.
    Ich ziehe den Rucksack zu mir herüber, hole meinen Pass heraus und schiebe ihn zu ihm hinüber. Er studiert ihn eingehend und blättert eine Weile mit seinen dicken, behaarten Fingern darin herum, dann kratzt er sich am Kopf und betrachtet noch einmal die erste Seite.
    Wie schräg ist das denn – ich sitze hier gefangen und zeige meinem Wärter meinen Pass, als ginge es um eine Personenkontrolle bei der Polizei.
    Wenn es doch bloß so wäre.
    Schließlich klappt er den Pass wieder zu. » Dobre! «, sagt er zufrieden und betrachtet mich mit seinen hellen Augen. Seine Goldzähne blitzen auf, als er plötzlich lächelt, die Hände spreizt und sie nach unten senkt. »Gutt, gutt!«, sagt er, und ich brauche eine Weile, bis mir klar wird, dass er jetzt Deutsch spricht. »Gutt, gutt!«, wiederholt er. »Ruhä. Bleiba ruhä. All gutt!«
    Er senkt noch einmal die Hände, dann geht er hinaus.
    Hinter ihm dreht sich der Schlüssel im Schloss.
    Und ich sitze da und starre auf das Foto in meiner Hand. Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Gar nichts.
    Meinen Vater habe ich das letzte Mal gesehen, als ich sechs war. Vorher haben wir zusammengelebt, meine Mama, mein Vater und ich. So richtig gut miteinander klarkamen meine Eltern eigentlich nie, ich kann mich daran erinnern, dass sie sich oft gestritten haben. Mein Vater hat eher so in den Tag hineingelebt, meine Mutter war schon immer ziemlich gut durchorganisiert.
    Sie arbeitet im Museum, als Kuratorin, das heißt, sie überlegt sich Ausstellungen und Veranstaltungsreihen dazu und organisiert das Ganze dann auch. Aber als sie sich in meinen Vater verliebt hat, da war sie noch Archäologin und hat bei Ausgrabungen mitgemacht, meistens in Osteuropa. Und dabei hat sie meinen Vater kennengelernt, der war dort als Helfer eingestellt. Er ist ihr hinterhergereist, nach Deutschland, und sie sind zusammengezogen, aber da fing der Ärger dann an. Meine Mutter hat hart gearbeitet, und mein Vater hat eher in den Tag hineingelebt und sich von einem Hilfsjob zum nächsten gehangelt. Oder auch nicht.
    Mein Vater wollte heiraten, meine Mutter nicht. Vielleicht auch nicht, weil ihre Eltern total dagegen waren, keine Ahnung. Irgendwann kamen sie einfach nicht mehr klar miteinander, die beiden. Jedenfalls ist das die offizielle Version, die meine Mutter mir aufgetischt hat. Sie kamen nicht mehr klar, und dann ist mein Vater wieder zurückgegangen.
    Nach Serbien.
    Und danach hab ich ihn nie wiedergesehen.
    Bis jetzt. Bis zu diesem Foto da in meiner Hand. Auf dem er mich anlächelt, mit diesem ganz speziellen Papalächeln, das ich immer total geliebt hab. Dieses Lächeln, bei dem man seine beiden schiefen Vorderzähne sehen konnte, die er sonst immer zu verbergen versuchte. Meistens lächelte er nur ein bisschen, so mit hochgezogenen Mundwinkeln, aber in der Mitte geschlossenen Lippen, damit man eben diese schiefen Zähne nicht sah.
    Mama hat immer gesagt, diese schiefen Zähne hat sie besonders an ihm geliebt.
    Ich auch.
    Aber er wohl nicht. Nur ganz manchmal, wenn er herzhaft lachen musste oder wenn er mich anlächelte, dann konnte man sie sehen. Dann dachte er nicht mehr dran. Und dann hat sein Gesicht immer richtig geleuchtet.
    So wie auf dem Foto, das ich jetzt in der Hand halte.
    Auf dem bin ich vielleicht fünf oder sechs. Und er ist dann so ungefähr um die dreißig.
    Wir lächeln uns an.
    Er mich.
    Und ich ihn.
    Sascha hat er mich immer genannt. Sascha, nicht Lexy, wie Mama.
    Und ich hab ihn Tata genannt. Das heißt Papa auf Serbisch.
    Verdammt, wo bin ich hier gelandet?
    Und was hat mein Vater damit zu tun?
    Ich sitze immer noch da, auf der Kante, und begreife überhaupt nichts mehr.
    Und plötzlich habe ich solche Sehnsucht nach Mama, dass es nur noch wehtut. Ich ziehe die Beine an, rolle mich auf meiner Liege zusammen und verschränke die Arme um meine Knie.
    Dies ist ein Albtraum.
    Nur, leider bin ich wach.
    Eine ganze Weile später  – ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, aber es ist viel wärmer im Zimmer geworden und die Luft ist furchtbar stickig  –, eine Weile später dreht sich der Schlüssel erneut im Schloss, und die alte Frau bringt mir das Mittagessen. Wie beim ersten Mal

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