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Schattenblicke - Thriller

Schattenblicke - Thriller

Titel: Schattenblicke - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen-Susan Fessel
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er.
    »Ich …«, setzt er an, dann verstummt er erneut und lässt den Kopf hängen.
    Auch eine Antwort.
    Dann blickt er wieder auf. »Es ist nicht so, wie du denkst«, sagt er leise. »Aber ich kann es dir im Moment nicht erklären. Nur: Du musst keine Angst haben, dir passiert nichts. Du musst einfach nur ruhig bleiben, sonst werden hier alle nervös, und das ist nicht gut. Also, nicht schreien. Dann passiert dir nichts.«
    »Und wenn ich nicht ruhig bleiben kann?«, frage ich, und meine Stimme klingt in meinen eigenen Ohren verdammt kläglich.
    Er sieht mich unter seinen langen Wimpern hervor nachdenklich an. »Bitte, bleib einfach ruhig, ja?«, sagt er. »Es dauert nicht lange.«
    Wieder sind von draußen Stimmen zu hören und jetzt kommen sie näher. Der Junge blickt schnell zum Fenster hinüber, dann beugt er sich vor.
    »Sie tun dir nichts«, sagt er eindringlich. »Aber du musst ruhig bleiben. Bitte, versprich es mir!«
    »Aber … aber was soll das alles? Ich meine, ich …«
    »Hab keine Angst«, sagt er hastig. »Glaub mir! Aber du musst dich ruhig verhalten, bitte!«
    Die Art, wie er das sagt, treibt mir eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Klingt, als sei ich in größter Gefahr.
    Und nicht nur ich.
    Sondern er auch.
    Seine dunklen Augen sind dicht vor mir, in ihnenliegt fast ein Flehen. Stumm starrt er mich an. Im Flur ertönen Schritte. Der Junge springt auf und schiebt den Stuhl zurück. Sein Gesichtsausdruck verändert sich, plötzlich sieht er hart aus, hart und kühl.
    Und als die Tür aufgeht, steht er ganz anders da. Lässig, die Hände in den Hosentaschen. »Kein Lärm, kein Geschrei«, sagt er laut. So laut, dass Goldzahn, der jetzt in der Tür aufgetaucht ist, den harten Tonfall seiner Stimme auf jeden Fall mitbekommt. »Du bist ruhig. Dann kann auch das Fenster aufbleiben. Da kriegst du frische Luft. Aber du musst still sein. Versprichst du das?«
    Seine Stimme klingt hart, aber in seinen Augen liegt ein Flehen. Und das macht mir Mut.
    »Ja«, sage ich. »Klar. Ich bleibe ruhig. Ab jetzt bleibe ich ruhig.«
    »Es hat sowieso keinen Sinn zu schreien. Der Hof liegt ganz einsam, dich kann niemand hören. Außer uns.« Der Junge nickt zu Goldzahn hinüber, der breitbeinig in der Tür steht und zufrieden von ihm zu mir sieht und wieder zurück. »Wir bringen dir Essen und du darfst jeden Tag duschen, und wenn du auf die Toilette musst, dann klopf einfach, dann kommen wir. Wenn du etwas brauchst, dann auch. Aber am wichtigsten ist, dass du ruhig bleibst. Okay?«
    Wieder dieses Flehen in seinen Augen.
    Und in der Tür Goldzahns Lächeln. Seine blitzenden Zähne.
    »Okay«, sage ich.
    Goldzahn wechselt ein paar schnelle Worte mit dem Jungen. Dann nickt er erneut zufrieden.
    Und erst als sich die Tür hinter beiden geschlossen hat, fallen mir all die Fragen ein, die ich zu stellen vergessen habe.
    Aber fürs Erste fühle ich mich ein klein wenig besser. Als wär ich nicht mehr ganz so allein.
    Der Rest des Tages zieht sich quälend langsam dahin. Die ungarischen Forint, die immer noch herumliegen, stecke ich wieder in mein Portemonnaie. Ich versuche, ein bisschen in meinem Krimi zu lesen, aber ich lege das Buch bald wieder weg. Ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren. Immer wieder stelle ich mir die Frage: Warum? Warum ich?
    Und immer wieder fliegen meine Gedanken zu dem Jungen mit den schönen, traurigen Augen. Was genau hat er mit der Sache zu tun? Welche Rolle spielt er?
    Spielt er vielleicht nur eine Rolle? Um mein Vertrauen zu gewinnen?
    Aber wozu?
    Es fällt mir schwer, ihn mir als gewissenlosen Entführer zu denken. Sicher, er hat mit dem Ganzen zu tun. Das ist klar.
    Aber gleichzeitig wirkt er nicht glücklich dabei. Irgendetwas ist anders an ihm.
    Und das sind nicht nur seine Augen.
    Aber vielleicht, und das ist das Schlimmste, vielleicht kann ich mir selbst nicht mehr trauen. Meinen Gefühlen. Vielleicht bilde ich mir nur ein, dass er anders ist.
    Weil ich das einfach gern glauben möchte.
    Lange stehe ich am Fenster und lausche auf die Geräusche draußen: das Summen des Generators, entfernte Motorengeräusche, murmelnde Stimmen, Hundegebell. Durch die schmalen Lamellenschlitze kann ich nichts weiter erkennen außer eben den Streifen Boden. Ich starre so lange dorthin, bis sich die spärlichen Grashalme zu bewegen scheinen.
    All die ungelösten Fragen jagen sich in meinem Kopf, und schließlich hole ich mein Notizbuch heraus, kauere mich auf der Liege zusammen und schreibe sie auf.
Wo

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