Schattenblicke - Thriller
schließlich an die Tür klopfe und Filip mich abholt, gehe ich drei Schritte voraus, bleibe aber dann fluchend stehen. Filip prallt fast gegen mich, und ich deute auf meinen Schuh und zuckeentschuldigend mit den Schultern. Dann hocke ich mich hin und schnüre mir die Senkel neu.
Er geht achselzuckend an mir vorbei und stößt die Tür zu meinem Gefängnis weit auf. Dann dreht er sich zu mir um.
Aber da bin ich schon aufgesprungen und renne nach rechts, den kleinen Flur hinunter auf die niedrige Tür zu. Der Schlüssel steckt immer noch von innen, mit einem Griff drehe ich ihn um. Und habe Glück: Er klemmt nicht! Die Tür schwingt auf. Ich ziehe den Schlüssel mit bebenden Fingern aus dem Schloss und stecke ihn von außen wieder hinein. Filip ist schon fast bei mir, als ich hinausspringe, die Tür zuziehe und den Schlüssel umdrehe. Im nächsten Moment kracht es, als er von innen an der Tür zerrt und dagegentritt. Ich höre ihn fluchen, fast muss ich lachen: Jetzt ist es umgekehrt – er ist eingesperrt, ich bin draußen!
Einen Moment bin ich wie geblendet von der tief stehenden Abendsonne, dann renne ich los, in Richtung der offenen Felder, an ein paar Büschen vorbei. Dahinter steht ein Wagen – der Lieferwagen, groß, weiß und staubig. Meine Nackenhaare stellen sich auf.
Drei Schritte, dann bin ich um ihn herum. Dahinter liegt ein Weg, begrenzt von einem Feld mit hoch aufragenden Ähren, Weizen vielleicht. Sanft steigt die Landschaft an, verliert sich in der Dämmerung,aber weit hinten kann ich Autos sehen, fahrende Autos. Eine Straße! Da ist eine Straße!
Und schon renne ich los, am Feldrand entlang. Hinter mir höre ich eine Stimme, dann ein Krachen. Jemand schreit laut auf, ruft etwas, eine Stimme antwortet ihm.
Ich sprinte nach rechts, ohne zu überlegen, ein Weg, ein ziemlich holpriger Weg, staubige Erde mit tiefen Löchern, in denen Wasser steht. Ich renne ihn entlang, haste an ein paar dürren Bäumen vorbei, an dornigen Sträuchern, einfach nur vorwärts. Ich renne, so schnell, wie ich noch nie in meinem Leben gerannt bin. In meinen Lungen ist heiße Luft, mein Herz pocht und schlägt wie verrückt.
Hinter mir höre ich weitere Rufe, eine Autotür schlägt, ein Motor springt an. Meine Füße trommeln nur so auf den Boden, und dann, ganz plötzlich, stolpere ich, knicke um, fange mich, stolpere erneut. Mein Schnürsenkel ist wieder aufgegangen! Es sind kostbare Sekunden, die ich verliere, viele kostbare Sekunden, und die Angst steigt schlagartig in mir hoch, schwappt über mir zusammen.
»Stopp!« Ein Ruf, viel zu dicht. Ich kann nicht mehr, aber ich muss! Ich renne weiter, ein Strauch fliegt vorbei, gackernd springt ein Huhn davon, das Motorengeräusch kommt näher, und dann, ganz plötzlich, packt mich jemand am Arm, zerrt mich herum, und ich stolpere, stolpere wieder und falle.
Keuchend liege ich am Boden. Filip ist über mir, hält mich mit beiden Händen gepackt, lässt eine Flut von Schimpfwörtern los; jedenfalls nehme ich an, dass es Schimpfwörter sind, die da aus ihm heraussprudeln.
Bremsen quietschen, der Lieferwagen kommt schlingernd hinter uns zum Stehen, Goldzahn springt heraus.
» Stupid girl! «, ruft er wütend.
Mein Herz bleibt fast stehen. Er hat eine Pistole! Aufgebracht fuchtelt er damit herum.
Das Blut rauscht laut in meinen Ohren.
Hinter ihm kommt Aleks auf uns zugelaufen, mit federnden Schritten, wird langsamer, hält an, geht neben mir in die Hocke. »Alles okay?«, fragt er besorgt. Filip lässt mich los und richtet sich auf.
Ich wische mir den Staub aus dem Gesicht. » Fuck «, sage ich. »Scheiße!« Nichts ist okay.
Aleks schiebt eine Hand unter meinen Ellenbogen und hilft mir auf. Goldzahn winkt hektisch mit seiner Pistole zum Auto hin, Filip reibt sich schmerzverzerrt das Knie und humpelt auf den Wagen zu.
Aleks sieht mich an. »Steig ein«, sagt er und sieht furchtbar traurig aus.
Traurig, weil ich versucht habe, wegzurennen?
Oder weil ich’s nicht geschafft habe?
In eisigem Schweigen legen wir die kurze Strecke bis zum Haus zurück. Filip lenkt mit gequältem Gesicht den Wagen, Goldzahn sitzt neben ihm, halb zu mir umgedreht, und hält die Pistole auf mich gerichtet, und Aleks hockt stumm neben mir. Kaum sind wir angekommen, zerrt Goldzahn mich hinaus und schubst mich durch das offen stehende Tor in den Hof. Seine Augen sind zusammengekniffen, die Wut darin lässt mich erstarren.
» Stupid bitch! «, ruft er erneut, und dann folgt ein Schwall
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