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Schattenblicke - Thriller

Schattenblicke - Thriller

Titel: Schattenblicke - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen-Susan Fessel
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nicht. Er sieht älter aus und jünger zugleich.
    Und wütend und traurig.
    Und er sieht aus wie mein Vater.
    Weil er es ist.
    »Sascha!«, sagt er. »Sascha! Du …« Er steht in der Tür, als würde er sich nicht trauen, auch nur einen Schritt ins Zimmer zu setzen. Hinter ihm steht Goldzahn, ein widerwärtiges Grinsen im Gesicht.
    Jetzt stupst er meinen Vater in den Rücken und flüstert ihm etwas zu. Mein Vater steht steif da, dann dreht er sich um und herrscht Goldzahn an, der mit den Schultern zuckt und wieder grinst. Mein Vater deutet auf meine gefesselten Hände und sagt etwas, aber Goldzahn schüttelt den Kopf.
    Mein Vater hebt die Stimme. Goldzahn lacht hämisch, aber dann kommt er zu mir herüber und zieht ein Messer aus der Tasche und lässt es aufspringen. Genüsslich betrachtet er mein Gesicht, dann schneidet er die Fessel mit einem gekonnten Schnitt durch und lässt sie zu Boden fallen. Mit einem fiesen Grinsen schnappt er sich den Stuhl und zieht ihn zur Tür, um sich breitbeinig daraufzusetzen. Vorsichtig reibe ich mir die Handgelenke. Mein Vater steht mit hängenden Armen da und sieht mich an. »Sascha«, sagt er leise. »Es tut mir …es tut mir so leid! Ich wollte nicht … Wie geht es dir?«
    Ich bringe kein Wort heraus.
    Mein Vater! Mein Vater steht vor mir. Der Mann, der uns von einem Tag auf den anderen verlassen hat. Der mir noch zwei Briefe geschickt hat und ein Päckchen zum siebten Geburtstag. Und von dem ich danach dann nie wieder gehört hab. Fast zehn Jahre lang nicht.
    Und jetzt steht er hier vor mir. Und sieht mich bittend an. Und ängstlich. Und … ich weiß nicht, wie.
    »Hi, Tata«, sage ich mit zittriger Stimme.
    Ich weiß noch genau, was drin war in dem Päckchen: ein Schokoladentelefon, in lila Zellophan eingehüllt. Und ein Plastikhandy, gefüllt mit Brausepulver.
    »Sascha«, sagt er weich.
    Ich wollte ihn immer damit anrufen, das weiß ich noch. Als ich merkte, dass das nicht ging, bin ich in Tränen ausgebrochen. Mama hat mir das Teil dann weggenommen.
    Sie fand die Geschenke sowieso unpassend.
    Aber ich fand sie toll.
    »Sascha!« Und dann streckt er die Arme aus. Und lächelt. Er lächelt dieses Papalächeln, das ich immer total geliebt habe. Dieses Lächeln, bei dem man seine beiden schiefen Vorderzähne sehen kann, die er sonst immer zu verbergen versucht.
    Und ich kann gar nichts dagegen tun, ich taumele vorwärts, hinein in seine ausgestreckten Arme, und noch bevor er mich umfasst, fange ich auch schon an zu weinen.
    Und es ist mir vollkommen egal, dass Goldzahn mir grinsend dabei zusieht.
    Mein Vater hält mich im Arm. Und zwischen meinen Tränen, die nur so aus meinen Augen strömen, spüre ich genau zwei Dinge: Er hält mich wie früher.
    Aber er riecht nicht wie früher.
    Er riecht anders. Gestresst irgendwie, wenn man das so überhaupt sagen kann.
    Und das ist es, was mich am Ende dazu bringt, mich wieder zu beruhigen und zwei Schritte zurückzutreten. Schniefend wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht.
    Mein Vater reicht mir ein Papiertaschentuch, keine Ahnung, wo er das herhat. Und jetzt lächelt er wieder, aber nicht dieses Papalächeln, sondern ein anderes, verhaltenes, mit hochgezogenen Mundwinkeln, aber geschlossenen Lippen. »Geht es wieder?«, fragt er, und seine Stimme klingt eingerostet. So als hätte er sie lange nicht benutzt.
    Oder als hätte er lange kein Deutsch mehr gesprochen.
    Ich zucke mit den Schultern und schnaube noch einmal.
    Goldzahn hat inzwischen das Messer wieder hervorgeholt,lässt es aufspringen und beginnt, sich genüsslich die Nägel zu säubern. An der Hüfte, da, wo sein ausgeblichenes T-Shirt über den Hosenbund fällt, ist eine Ausbuchtung. Die Pistole vermutlich. Komisch, dass ich die vorher nicht bemerkt habe. Oder hat er sie vorher gar nicht getragen?
    »Sascha«, sagt mein Vater. »Mein Kind. Ich hab dich so vermisst!«
    Seine Stimme ist weich, aber in mir drin wird es auf einmal hart. »Ja? Ach so. Und warum hab ich davon nichts gemerkt?«, sage ich rau. Plötzlich wackeln mir die Knie und ich muss mich setzen.
    Mein Vater bleibt stehen. Dann kommt er zu mir herüber und hockt sich vor mir hin. Seine Augen sind dunkel. »Sascha, es tut mir furchtbar leid«, sagt er stockend. »Ich wollte nicht, dass das passiert. Es tut mir leid! Ich habe es … ich habe es nicht verhindern können.«
    Erst jetzt geht mir auf, dass er nicht von früher spricht, sondern von jetzt. Von dieser Situation. Aber was genau will er mir damit

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