Schattenblicke - Thriller
Angst haben muss. Weil ich keine Ahnung habe, was mit mir passieren wird.
Daran will ich jetzt aber nicht denken. »Und wie alt bist du?«, frage ich.
»Siebzehn.«
Siebzehn ist er. Ein Jahr älter als ich. Und lebt ein ganz anderes Leben. Erst in Deutschland. Dann in Serbien. Muss sich komisch angefühlt haben, dieser Wechsel.
»Und wo findest du’s besser?«
Er schweigt und betrachtet seine Hände. Filip macht ein Auge auf, sieht in die Runde und macht es wieder zu. Die Katze schnurrt. Warm liegt sie an meine Beine gepresst da. Aleks räuspert sich. »Ich habe doch gar keine Wahl«, sagt er leise. »Ich bin jetzt hier. Erst mal.«
Im selben Moment hören wir es beide: Motorengeräusch, das sich rasch nähert. Schlagartig wird alles ganz hektisch: Aleks springt auf und ruft etwas, und Filip wuchtet sich fluchend aus dem Liegestuhl. Die Katze springt auf, macht einen Buckel und flitzt davon, auf den Tisch, auf die Mauer, dann ist sie verschwunden.Gleichzeitig verstummt das Motorengeräusch, und eine Tür schlägt.
Aleks zieht mich hastig hoch. »Komm«, flüstert er, und seine Augen sind jetzt im Schatten sehr dunkel. »Komm mit. Du musst wieder rein! Schnell!«
Filip greift nach meinem anderen Arm, aber ich schüttele ihn ab.
Aleks schiebt mich vorwärts. »Schnell, geh mit ihm rein!«, sagt er drängend. »Bitte, beeil dich! Ich komme später zu dir!« Er schubst mich in Richtung Tür, und ich setze mich in Bewegung.
Das Tor öffnet sich klappernd. » Sve je jasno, da dolazi! «, ruft jemand. Goldzahn!
Seine Stimme treibt mich vorwärts. Dicht gefolgt von Filip, renne ich los, aus dem Schatten ins Licht, auf das Haus zu.
In der Brust ist mir eng.
Zurück.
Zurück in mein Gefängnis.
Im Rücken spüre ich Aleks’ Blick. Den Blick aus seinen schönen, traurigen Augen.
Wie ein unsichtbares Seil, das mich hält.
Meine Verbindung nach draußen. Meine Verbindung zur Freiheit.
Aber als ich die Tür erreiche und vor dem heftig schnaufenden Filip ins Haus haste, drehe ich mich noch einmal kurz um.
Aleks läuft gerade zum Tor, wo in diesem MomentGoldzahn auftaucht, eine verspiegelte Sonnenbrille auf der Nase und ein breites Grinsen im Gesicht. Triumphierend reckt Goldzahn die Faust und ruft erneut etwas.
Aleks sieht nicht mehr zu mir her. Aber ein anderer Blick folgt mir: der Blick der schwarzen Katze, die im Schatten auf der Mauer liegt.
Und dann stößt Filip mich hinein ins Haus.
Raus aus der Hitze. Der Freiheit. Zurück in die Enge.
Zurück in mein Gefängnis.
12 // Donnerstagnachmittag
Der Nachmittag zieht sich endlos dahin, aber Aleks kommt nicht mehr zu mir.
Zusammengerollt liege ich da und starre nachdenklich auf den Wasserfleck an der Decke. Eins ist mir klar: Ich muss etwas tun.
Von selbst passiert nichts, jedenfalls nichts Gutes. Alle scheinen auf etwas zu warten. Nur, wenn es dann passiert, wird es gut für mich sein? Oder schlecht?
Ich habe Angst. Ich weiß nicht, was hier gespielt wird.
Und ich glaube, ich bin in Gefahr.
»Ich stehe auf deiner Seite«, hat Aleks gesagt.
Aber im Notfall werde ich auf niemanden zählen können. Nur auf mich.
Ich kann warten. Oder handeln.
Lange sitze ich da und denke nach.
Dann checke ich meinen Rucksack. Alles Wichtige ist drin: mein Pass, mein Notizbuch, mein Stift. Unterhose, Socken und T-Shirt zum Wechseln packe ich aus. Den Krimi auch.
Aber die Sweatjacke stopfe ich rein. Und die Wasserflasche, die neue, die ich zum Mittagessen bekommen und noch nicht geöffnet habe, die auch.
Und den Gedichtband von Mama. In dem hab ich schon ziemlich oft gelesen in diesen Tagen. Eigentlich cool: Gedichte kann man immer wieder lesen.
Als ich fertig bin, atme ich tief durch. Dann werfe ich mir den Rucksack über die Schulter und klopfe dreimal an die Tür.
Es dauert nur einen kleinen Moment, bis Filip mir öffnet.
» Toilet! «, sage ich, und er nickt. Dann zieht er die Brauen zusammen und deutet auf den Rucksack.
»Da ist meine Wäsche drin«, sage ich und ziehe das Sweatshirt halb heraus. Er winkt ab und führt mich über den Gang.
Ich klatsche mir mehrfach kaltes Wasser ins Gesicht und trockne mich gründlich ab, dann sitze ich eine ganze Weile auf der Toilette und stütze den Kopf in die Hände.
Wie spät es wohl sein mag?
Früher Abend auf jeden Fall, noch nicht dunkel draußen. Die Dämmerung aber ist schon hereingebrochen.
Schließlich beuge ich mich hinunter und löse meinen rechten Schnürsenkel.
Meine Finger zittern.
Als ich
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