Schattenblicke - Thriller
ein paar karge, halb vertrocknet wirkende Bäume und Büsche auf, die einem Teil des Hofes spärlichen Schatten spenden.
Der Hof selbst ist vielleicht so groß wie ein halbes Fußballfeld. Flach getretene Erde mit ein paar mickrigen Gräsern dazwischen. In der einen Ecke stehen zwei verkümmerte Obstbäume in einem brachliegenden, ehemaligen Nutzgarten mit verdorrten Pflanzen. Auf der anderen Seite liegen alte Gehwegplatten, ein Sonnenschirm steht über einen Plastiktisch gebeugt, eine Holzbank und drei Stühle dienen als Sitzgelegenheiten. Ein Stückchen entfernt, im Schatten der Mauer, ist eine Sonnenliege ausgeklappt, auf die der Typ mit der Narbe schnurstracks zusteuert.Seufzend streckt er sich darauf aus und schließt die Augen, während Aleks mich zum Tisch hinüberführt.
»Setz dich!«
Komisch, eigentlich wollte ich nur raus aus dem Zimmer, raus, und mich bewegen, aber jetzt, wo ich mich draußen im Freien befinde, bin ich froh, mich setzen zu können. Mit Sicherheit liegt das auch an der Hitze – sie ist in der prallen Sonne kaum zu ertragen. Ich hocke mich auf die Bank und sehe mich um, während Aleks sich mir gegenübersetzt.
Alles, was ich sehe, wirkt ziemlich heruntergekommen – fast alles; nur das zweiflügelige Holztor zwischen Mauer und Hauswand scheint neueren Datums zu sein. Das Haus selbst ist flach, einstöckig, aber keine Gartenlaube, wie ich gedacht hatte. Ganz offensichtlich ist es ein richtiges Haus, aus massivem Stein. Unter dem bröckelnden Putz sind Ziegelsteine zu erkennen, die Regenrinnen unter dem Flachdach hängen bedrohlich herab. Zwei Fenster: Eins ist das Küchenfenster, das andere gehört sicherlich zu dem kleinen Zimmer, in dem ich gefangen gehalten werde, denn die Läden sind vorgeschlagen. An der Ecke steht ein Generator älteren Datums; als ich hinsehe, beginnt er zu dröhnen.
»Wohnt hier jemand?«, frage ich und sauge die heiße Luft in mich ein.
Aleks lächelt, nur kurz. »Nein, nicht mehr.«
»Die alte Frau auch nicht? Die, die mir das Essen bringt?«
»Nein, die auch nicht. Hier wohnt keiner mehr richtig. Früher, bis vor ein paar Jahren, da hat das meinem Gro…« Er stockt und berichtigt sich sofort. »Da hat das jemandem gehört, aber der ist gestorben.«
»Hier?«, frage ich entsetzt und sehe mich um. Aleks lacht.
»Nein, nicht hier. Da hat er schon längst nicht mehr hier gewohnt.«
»Und seitdem …«
»Steht der Hof eigentlich leer.« Aleks verstummt. Rückt auf der Bank hin und her. Verschränkt die Hände im Schoß.
Schöne Hände. Schlanke, aber kräftige Hände.
Wie es wohl wäre, wenn er mich damit berührt?
Hilfe, bin ich verrückt geworden oder was?
Der gutaussehende Typ, der mir hier gegenübersitzt, vor meinem Gefängnis, das ist mein Entführer!
Ich kann froh sein, wenn er mich nicht berührt!
Ich kann froh sein.
Eigentlich.
Plötzlich merke ich, dass er mich ansieht. Unter seinen langen Wimpern hervor beobachtet.
Carl hat längst nicht solche schönen Wimpern.
Carl. Das ist das erste Mal, dass er mir einfällt, seit Tagen.
Hinter Aleks, auf der Liege, hat sich der Typ mit der Narbe eine Kippe angezündet. Der Rauch steigt senkrecht in die Luft. Windstille.
Und auch sonst Stille. Nichts ist zu hören. Nicht mal Motorengeräusch. Und auch der Generator ist wieder verstummt.
Ich bin so froh, dass ich draußen bin. Auch wenn es verdammt heiß ist. Mein T-Shirt klebt.
Ich puste mir eine Strähne aus dem Gesicht.
»Wo ist denn Goldzahn? Also ich meine, der Typ …«
Aleks sieht mich misstrauisch an. »Ich weiß, wen du meinst«, sagt er kalt. »Aber das geht dich nichts an.«
Ich starre ihn verdutzt an. Mit seinen Stimmungsschwankungen komme ich nicht klar. Erst ist er nett, dann hart, dann einfühlsam, dann eiskalt.
Eigentlich weiß ich nicht, was ich von ihm halten soll.
Aber andererseits eben doch.
Oder nicht?
Aleks sieht mich nicht mehr an. Stattdessen blickt er auf seine Hände hinunter.
»Machst du Sport?«, frage ich, einfach so, ins Blaue hinein.
Er nickt knapp. »Handball.«
Handball! Klar, genau, das hat mein Vater auch gespielt. Hat er mir erzählt. Allerdings damals noch für Jugoslawien. Serbien war früher Teil von Jugoslawien.Dann starb Tito, der Anführer, und Jugoslawien zerfiel in lauter kleine und größere Länder. Und noch später kam dann der Kosovo-Krieg, in den Serbien verwickelt war, kurz vor der Jahrtausendwende. Damals flog die NATO Luftangriffe auf Serbien, auf Belgrad zum Beispiel. Mein Vater
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