Schattenblicke - Thriller
erstickt, und Aleks hört es auch.
»Ich erkläre es dir«, sagt er. »Aber nicht jetzt. Später.«Er berührt noch einmal meine Wange, dann steht er auf.
»Komm, jetzt müssen wir wieder rein. Bevor es zu spät ist.«
Und damit zieht er mich hoch.
Ich kann seine Berührung noch lange Zeit spüren, die ganze Zeit über, während er die Tür öffnet, sich vorsichtig umsieht und mich ins Zimmer führt, wo er mich wortlos zurücklässt und hinter mir abschließt. Und ich kann sie auch noch spüren, als ich viel später zusammengerollt auf meinem Bett liege und schlaflos in die Dunkelheit starre, noch immer tausend Fragen im Kopf.
Und ein Flattern im Bauch.
14 // Samstagvormittag
Als ich aufwache, fällt Sonnenlicht in schmalen Streifen durch die Lamellenschlitze ins Zimmer. Es ist warm, aber nicht zu warm, noch nicht.
Auf mein Klopfen hin öffnet mir niemand, also benutze ich den Eimer, dann klatsche ich mir kaltes Wasser ins Gesicht und lasse es mir über die Unterarme laufen.
Als ich die Zähne geputzt und meine Kniebeugen gemacht habe, bin ich einigermaßen frisch. Ich setze mich wieder auf die Liege und krame in meinem Rucksack nach meinem Notizbuch. Der Brief an Mama steckt immer noch darin. Seit drei Tagen. Oder sind es schon vier?
Langsam verliere ich das Zeitgefühl.
Was meine Mutter wohl denken mag? Ob sie die Polizei eingeschaltet hat? Wie haben diese miesen Kerle eigentlich Kontakt mit ihr aufgenommen – ob sie sie angerufen haben?
Meine Klassenkameraden sind jetzt schon wieder zu Hause. Wenn sie nicht längst abgereist waren.
Ob Birte und Daria sich wohl Vorwürfe machen? Dass sie mich einfach haben gehen lassen? Mir ginge es so, glaube ich. Obwohl sie nichts hätten tun können.
Und Carl … Carl war der Letzte von uns, der mich gesehen hat. Bestimmt nicht gerade ein tolles Gefühl für ihn.
Heute ist Samstag, wenn ich mich nicht verrechnet habe. Tag 6. Mein sechster Tag als Entführte. Wie lange wird das noch so weitergehen?
Und was kommt danach?
Als Erstes kommt mein Frühstück. Aber nicht Aleks’ Oma bringt es, sondern Filip. Er wirkt furchtbar nervös und humpelt immer noch ein bisschen. Und unrasiert ist er auch, das erste Mal.
Der Kaffee duftet wie immer, aber das Brot ist trocken, und die Käsescheibe daneben hat auch schon bessere Tage gesehen.
» Where is Vesna? «, frage ich, aber Filip schaut mich nur grimmig an. Sein Blick fliegt zum Fenster, dann sieht er hinter sich auf den Flur. Schließlich blickt er wieder mich an.
Ich kann seinen Blick nicht deuten, und plötzlich habe ich Angst. Aber ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Mit zitternden Fingern streiche ich Butter auf mein Brot und lege den Käse darauf, und schließlich höre ich, wie er geht und die Tür hinter sich abschließt.
Etwas liegt in der Luft. In der stickigen Luft des Zimmers.
Am späten Vormittag, jedenfalls vermute ich, dass es ungefähr zehn oder elf Uhr sein müsste, am späten Vormittag kommt mein Vater mich besuchen.
Das heißt, er besucht mich nicht, sondern er kommt, um mich auszufragen.
Und er kommt nicht allein. Goldzahn ist wieder mit dabei. Breitbeinig nimmt er auf dem Stuhl Platz und betrachtet abwechselnd meinen Vater und mich, während mein Vater mir eine Frage nach der anderen stellt und Filip uns in der offen stehenden Tür bewacht.
Es ist ein komisches Gefühl: Mein Vater und ich sitzen nebeneinander auf der Liege, so weit auseinander wie nur möglich, und reden über Mama und Mamas Familie, während Goldzahn uns misstrauisch beäugt und ab und zu auf Serbisch eine Frage oder Bemerkung einwirft.
Mein Vater ist mir fast genauso fremd wie Goldzahn, aber das liegt vermutlich auch an seiner Nervosität. Er kann mich kaum ansehen, auf seiner Haut hat sich ein leichter Schweißfilm gebildet, und sein Blick flackert unruhig im Zimmer hin und her. »Ich muss ein paar Dinge wissen, Sascha«, sagt er zu Anfang und räuspert sich. »Es ist sehr wichtig, dass du mir genau antwortest.«
Ich zucke mit den Schultern. Mein Vater lächelt nicht. Er sieht knapp an mir vorbei. Sein Gesicht ist fahl. Und voller Bartstoppeln.
Daran kann ich mich erinnern: dass mein Vater immer schnell Bartstoppeln bekam, wenn er sich auch nur einen halben Tag nicht rasiert hatte. Ich mochte nicht, wie es dann kratzte, wenn er mir einen Kuss gab, aber irgendwie mochte ich es doch.
Jetzt aber hat er mir keinen Kuss gegeben, auch nicht zur Begrüßung. Mit verschränkten Händen sitzt er neben mir und starrt
Weitere Kostenlose Bücher