Schattenblicke - Thriller
Entführern gerettet und nur auf deinen Vater gewartet haben.«
»Und warum nicht auf die Polizei?«, frage ich verwundert.
»Weil die Polizei bei deiner Entführung mit den Entführern unter der Decke gesteckt hat.« Aleks lächelt schief. »So haben sie ihr das erzählt.«
»Und so was glaubt deine Oma?«
Aleks nickt langsam. »Wir sind in Serbien«, sagt er. »Da ist so was möglich.«
Das muss ich erst mal verdauen.
Vor uns huscht etwas über den Weg. Eine Katze? Wenn ja, dann war sie nicht schwarz, sondern hell.
Die Dämmerung senkt sich weiter herab. Bald wird es ganz dunkel sein, die Felder sind nur noch schemenhaft zu erkennen. Sanft steigt dahinter die Landschaft an, verliert sich in der Dämmerung, aber ganz weit hinten kann ich die Lichter eines fahrenden Autos erkennen.
Weit hinten. Unerreichbar weit hinten, so kommt es mir vor.
Plötzlich legt Aleks den Kopf schief, springt auf und schleicht zur Hausecke. Einen Moment steht er lauschend da, dann kommt er zu mir zurück und setzt sich wieder. »Alles ruhig«, sagt er. »Aber wir müssen jetzt trotzdem gleich wieder rein.«
»Noch ein bisschen, ja?«
Aleks nickt. Ich spüre seine Hüfte an meiner. Und ich wünschte, wir könnten hier so lange sitzen bleiben, bis es Nacht wird und dann wieder Morgen.
»Ich war übrigens schon öfter in Serbien«, sage ich hastig, um ihn abzulenken. »Als ich klein war. Bei meiner Oma.«
Das wirkt. »Wo?«, fragt Aleks interessiert.
»In Valjevo.«
»Das kenn ich«, sagt er. »Valjevo … Da war ich schon oft. Ich hab da Verwandte. Ist ja auch nicht so weit. Aber hier ist ja nichts richtig weit voneinander entfernt. Anders als in Deutschland.« Seine Stimme klingt auf einmal traurig. Ich kann Sehnsucht darin hören. Oder vielleicht ist es keine Sehnsucht, vielleicht ist es Heimweh.
»Hast du manchmal Heimweh nach Deutschland?«, frage ich.
Aleks nickt fast sofort. »O ja«, sagt er ruhig. »Sehr. Wenn ich könnte, würde ich sofort zurückgehen. Und eines Tages gehe ich auch zurück.« Bei den letzten Worten wird seine Stimme fester, und er strafftdie Schultern, wie um sich selbst Mut zuzusprechen.
»Warum … warum seid ihr wieder nach Serbien gegangen, du und dein Vater? Warum seid ihr nicht in Hamburg geblieben, als deine … deine Mutter gestorben war?«
Aleks zuckt mit den Schultern und bückt sich nach einem Steinchen, das er aufhebt und wegwirft. Ich kann nicht sehen, wo es landet, es ist einfach verschwunden. »Ich glaube, mein Vater hatte Sehnsucht nach Serbien«, sagt er. »Ist ja seine Heimat.«
»Aber Hamburg war deine Heimat.«
Das hat gesessen, denn Aleks versteift sich neben mir. »Ja, klar! Aber als Mama gestorben ist, da hat mein Vater gedacht, dass wir hier eine bessere Zukunft haben. Bei seiner Familie. Und ich glaube … alles in Hamburg hat ihn an Mama erinnert. Ich glaube, er hat sie sehr geliebt.« Bei den letzten Worten wird seine Stimme leiser.
Kann ich das von meinem Vater auch sagen? Hat er meine Mutter sehr geliebt? Und sie ihn?
Mich schaudert ein wenig, und ich rutsche noch dichter an Aleks heran, obwohl das kaum noch geht.
Aleks lässt es geschehen. Stumm sitzen wir da und sehen auf die immer dunkler werdenden Felder hinaus. Ich kann seine Wärme spüren.
Und seine Traurigkeit, die kann ich auch spüren.
»Ich meine«, fügt er hinzu, »ich meine, klar, er hatalles getan, damit ich ein gutes Leben hab. Er hat sich echt krummgelegt, damit ich auf ein Supergymnasium gehen kann. Konnte.«
»Wieso konnte? Bist du schon fertig mit der Schule?«
Aleks schweigt eine Weile. Eine kleine Brise kommt auf und in den Feldern vor uns beginnt es zu rauschen. Dann wird es wieder still. »Nein«, sagt Aleks. »Ich hab noch ein Jahr. Aber … ich weiß nicht, ob ich noch weiter hingehen kann. Die Schule ist teuer.« In diesem Moment kommt von irgendwoher ein Geräusch, ein sehr leises Geräusch, das ich nicht zuordnen kann. Aleks versteift sich und beugt sich nach vorn, um zu lauschen. »Wir müssen wieder rein«, sagt er leise und steht auf.
»Noch nicht!« Das kommt einfach so aus mir heraus.
Ich will nicht zurück. Ich will nicht zurück in mein Gefängnis.
Ich kann nicht zurück!
Aleks blickt zu mir hinunter. Sein Gesicht ist sehr weich. Dann kniet er sich vor mir hin. »Hab keine Angst«, flüstert er und berührt meine Wange mit einem Finger. »Hab keine Angst, Alex.«
Und jetzt bricht es doch aus mir heraus: »Warum machst du bei so was mit?« Meine Stimme klingt fast
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