Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen
aufzuheben.Knurrt. Will wohl selbst mit der Beute davon. Ich komme näher. Ist das noch Spiel?
Norrock greift zu. Greift den Knüppel, an dem Rawuhn sich festgebissen hat.
«Lass los!», sagt Norrock. Will lässig klingen, besonders jetzt, wo er weiß, dass ich da bin. Aber ich sehe, wie er Rawuhn mit Blicken droht. Rawuhn lässt nicht los. Rawuhn gräbt seine Zähne noch tiefer in das Holz, zieht die Lefzen zurück, sein Nackenfell sträubt sich, und er knurrt.
«Lass los, Rawuhn!», wiederholt Norrock. Mir fällt auf, wie ähnlich ihre Stimmen sind, die des Mannes und die des Wolfs. Und dann fasst Norrock den Knüppel auch mit der zweiten Hand, rechts und links von Rawuhns Maul. Und langsam, während er die Arme biegt wie zum Klimmzug, hebt Norrock den ganzen schweren Wolf vom Boden hoch. Hebt ihn so hoch, dass er Rawuhn genau in die gelbgrünen Augen sehen kann. Und sagt dann noch einmal, mit von Anstrengung gepresster Stimme: «Lass jetzt los, Rawuhn.»
Rawuhn beißt zu, ganz langsam presst er die Kiefer zusammen, sodass der armdicke Stock krachend und splitternd in zwei Teile zerbricht. Norrock hält die Arme immer noch gebeugt, die Hälften in den Fäusten, als Rawuhns Pfoten geschickt auf dem Boden aufkommen und er Holzsplitter spuckt.
«Blöder Köter!», flucht Norrock, tut so, als wollte er ihn treten, doch Rawuhn nimmt ihn nicht ernst, versucht nicht einmal auszuweichen. Verärgert wirft Norrock die Holzreste von sich. Jerro und Fath jagen los. Jetzt haben sie beide ein eigenes Ziel.
«Hallo!», begrüßt mich Norrock, kommt zu mir herüber und klopft mir auf die Schulter.
«Hi», sage ich. Einen Moment lang habe ich Angst, er könnte mir mit seinem kumpelhaften Klopfen die Schulter brechen, nur aus Versehen, so viel Kraft, wie er hat.
«Dahinten ist Sjöll», sagt er.
Sjöll sitzt im Gras, hat Lurnaks Vorderpfote auf dem Schoß und tastet mit den Fingern über die Sohle.
«Heute keine Blumen, Luisa?», begrüßt sie mich.
Ich schüttele den Kopf. «Nein, ich wollte nur Thursen sehen.»
«Und jetzt ist er gar nicht da.» Sjöll hat wohl was gefühlt, dreht die Pfote hin und her, spreizt die Zehen des Wolfes. «Könnt ihr mir mal helfen?»
Ich halte das Bein, Norrock hält Lurnak am Boden, während Sjöll mit ihren spitzen Fingernägeln einen Stachel aus seinem Fußballen zieht. Lurnak versucht nach Sjölls Hand zu schnappen. Aber gegen Norrock, der sich mit seinem Gewicht auf ihn stemmt, hat er keine Chance.
«So, das war es.» Sjöll nickt, und wir können loslassen.
Sofort springen meine Gedanken zurück zu Thursen. «Wo ist er denn?»
Sjöll fährt Lurnak mit gespreizten Fingern durchs Nackenfell. Der bleibt liegen und genießt mit geschlossenen Augen wie ein schnurrender Kater. «Mit Karr unterwegs, Geld besorgen», sagt sie.
Ich strecke die Hand aus. Zögernd streichle ich Lurnak mit den Fingerspitzen über den Rücken. «Nur die beiden? Ohne Wölfe?» Wahrscheinlich merkt Lurnak meine Finger gar nicht, so dick ist sein Pelz. Er fühlt sich viel borstiger an als Lottis Haare, als alle Kinderhaare, die ich je angefasst habe. Ich wünschte, ich könnte noch ein einziges Mal die Haare meines kleinen Bruders verstrubbeln.
Norrock neben mir fängt an zu lachen, laut und schallend.«Ohne Wölfe? Thursen hat echt nichts erzählt? Worüber redet ihr eigentlich die ganze Zeit?»
«Halt die Klappe, Norrock. Das ist Thursens Sache!», schimpft Sjöll und legt mir die Hand auf die Schulter. «Und außerdem, siehst du nicht, dass sie total fertig ist?»
Ich nicke, dankbar für ihre tröstende Berührung. «Ja, stimmt», murmele ich. «Lotti war bei mir, und sie hat das Bild –»
«Nein», Sjöll hebt abwährend die Hände. «Ich bin nicht Thursen. Du lässt mich mit deinen Problemen in Ruhe und ich dich mit meinen. Okay?»
Ich grabe meine Finger tiefer in Lurnaks Fell. «Ja, klar, entschuldige.»
«Spielst du Skat?», fragt Norrock.
Ich sehe auf. «Wie?»
Norrock zuckt die Achseln. «Es dämmert schon. Und Thursen und Karr kommen sonst immer bei Sonnenuntergang zurück. Da können wir doch spielen, während du auf sie wartest. Los, Sjöll, rück die Karten raus!»
Sjöll zieht ein Päckchen zerfledderte Spielkarten aus der Tasche und fängt an, sie auf zwei Häufchen zu verteilen.
Die anderen Wölfe kommen näher. Fath und Jerro lassen sich ein paar Schritte von uns entfernt unter einem schütteren Holunderbusch auf die Seite plumpsen und sehen zu uns herüber. Ein weiterer Wolf
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