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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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Arm um die Schultern, drückt sie an sich und legt ihr mit der Rechten die Karten in ihre fordernd ausgestreckte Hand. Sie hat tatsächlich keine Brandblase am Finger, er ist nicht mal mehr rot.
    «Du nervst, Norrock», sagt Sjöll und schüttelt seinen Arm ab. Fragt mich, als sie ihre Karten einsteckt: «Willst du hier auf Thursen warten?»
    Ich nicke.
    «Okay. Ich bin mit den anderen am See!» Die «anderen», die Wölfe, folgen ihr.
    «See ist gut», sagt Norrock. Rawuhn streift mich mit der Schulter, als er aufsteht und dem Rudel folgt. Ich suche ein Taschentuch, muss mir die Nase putzen, als die Trauer um Fabi doch noch hochkommt. Kann mein Gesicht dahinter verstecken, wenigstens für einen Moment. Ich blickeihnen nach, als sie, einer nach dem anderen, im Wald verschwinden. Mir wird kalt. Ich wünschte, Thursen wäre hier. Endlich kann ich weinen. Keiner da, der das nicht aushält. Keine Eltern, keine Sjöll.
    «Willst du es noch wissen?» Es ist Norrock, er ist nochmal zurückgekommen. Oder war er gar nicht fort? Steht über mir, leicht breitbeinig, in seiner abgetragenen Lederjacke mit den vielen Kratzern. Eine Hand in der Jackentasche, streicht er sich mit der anderen eine der grauen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sie machen ihn älter. Obwohl: Weiß ich sein Alter? Hier draußen altert man rasch.
    «Was wissen?», frage ich. Stecke meine Taschentücherpackung ein. Mit ihm will ich meine Tränen nicht teilen.
    «Sjöll hat recht, du siehst wirklich fertig aus. Wenn du willst, zeige ich dir, wie es leichter wird», sagt Norrock und stupst eins meiner nassen, zerknüllten Taschentücher mit der Stiefelspitze an. «Ein besserer Weg, als Buchstaben in Baumstämme zu ritzen. Er nimmt den Schmerz.»
    Er hockt sich vor mich, Ellenbogen auf den Knien, sieht mir in die Augen. «Also, was ist?»
    Ich hole noch einmal Luft. «Gut. Erzähl es mir. Aber sag Thursen nichts davon.»
    «Ich bin ja nicht blöde.» Norrock grinst schief, drückt zwischen zwei Fingern Sjölls Kerze im Schraubglas aus. Dann nickt er mir zu und steht auf.
    «Was ist?»
    «Du musst herkommen. Das kann man nicht erklären, das muss ich dir zeigen.»
    Ich stelle mich neben ihn.
    «Na, dann.» Norrock legt die Hände an den Mund und ahmt Wolfsgeheul nach, nicht sehr überzeugend. «Jetzt du», sagt er.
    Sehr witzig. Was wird das?
    Norrock grinst über mein Zögern. «Los, mach einfach.»
    Diesmal mache ich mit. Forme mit den Händen einen Trichter und heule die gleiche an- und absteigende Melodie wie Norrock. Komme mir blöd vor. Das soll das große Geheimnis sein?
    Wir schweigen. Norrock legt mir die Hand auf den Arm. Lauscht. Wartet.
    Auf einmal kommt Antwort. Tief aus dem Wald. Echtes Heulen.
    Knistern und Knacken nähern sich, Pfotentrommeln und hechelnder Atem. Dann sind sie da, dunkle Schatten im Mondlicht. Die Wölfe haben unseren Ruf gehört.
    Wie auf ein abgesprochenes Zeichen hin versammeln sie sich in einem Kreis. Einer nach dem anderen setzen sie sich dicht nebeneinander, Jerro und Fath, Krestor und Lurnak, und lassen eine Lücke für uns.
    Norrock hockt sich neben einen kleineren Wolf, dem ein silberner Ring im Ohr steckt, der gleiche, wie Sjöll ihn trägt. Sjöll ist nicht mit den Wölfen zurückgekehrt. Vielleicht steht sie irgendwo zwischen den Bäumen und beobachtet uns, so wie Thursen es immer gemacht hat.
    Als Norrock mich mit einer Handbewegung auffordert, den freien Platz einzunehmen, knurrt ihn der Wolf rechts neben ihm leise an.
    Norrock lacht. Knufft das Tier an der Schulter. «Was soll das? Sie gehört doch dazu.»
    Zögernd hocke ich mich hin. Neben mir sitzt Rawuhn. Ich hoffe, er ist wieder so friedlich wie vorhin und beißt mich nicht.
    Dann spricht Norrock zu mir. War seine Stimme schonimmer so tief? So rau, als würden die Bäume selbst sprechen? Er neigt sich zu mir und webt seine Worte in die Nacht. «Siehst du den Mond?»
    Wie könnte ich nicht? Als silberne runde Scheibe hängt er am Abendhimmel über uns, viel zu groß, viel zu nah. Der Himmel ist bleigrau, die Schwärze der Nacht kommt erst noch.
    «Vollmond macht es leichter.» Norrock kniet sich neben mich. «Tu, was ich tue», raunt er mir zu. «Leg deine Hand ins Wolfsfell.»
    Ich taste nach Rawuhn. Knie mich neben ihn und vergrabe meine Hand in seinen Rückenhaaren.
    «Und die andere gibst du mir. Wir schließen den Kreis.»
    Ich lege meine rechte Hand in seine. Zuerst ist da nichts. Nur der runde Mond, der den Himmel beherrscht, Rawuhns Pelz links und

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