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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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den Kopf zurück und schließt die Augen. «Na gut. Weil es mehr ist, als ich aushalte.» Dann blickt er mir genau ins Gesicht. «Ich halte es nicht aus, wenn du gleich wegläufst.»
    «Ich bleibe.» Kennt er mich so wenig?
    Er seufzt. «Versprich nicht zu viel.»
    «Dann halt mich fest.»
    Zu meiner Verwunderung tut er das wirklich. Er setzt sich rittlings auf den Baumstamm, je ein Bein rechts und links, rutscht so nah hinter mich, dass ich mich an ihn lehnen kann. Seine Arme fest um meine Taille geschlungen, legt er sein Kinn auf meine Schulter, dann flüstert er.
    Erst verstehe ich nicht. Die Worte ergeben keinen Sinn. Ich schüttele den Kopf. Mein Herz schlägt schneller. Soll ich nicht doch um mich schlagen, mich befreien? Weglaufen,so schnell ich kann, und nie wiederkommen? Was er sagt, ist ungeheuerlich.

SECHS
    «Der Wolf mit dem Ohrring. Das ist nicht Sjölls Wolf. Sie kann sich verwandeln. Das ist Sjöll.»
    Wohin hat er mich da gebracht? In welche Gefahr habe ich mich begeben, nur um ihn zu treffen? Und er hat es gewusst und konnte es mir nicht sagen. «Deine Wölfe sind gar keine richtigen Wölfe? Das sind in Wirklichkeit   – Werwölfe? Aber wieso   …?» Ich finde die Worte nicht. Winde mich in seinem Griff. Ich will mich umdrehen, ihm ins Gesicht sehen. An seinen Augen sehen, ob das, was er sagt, wirklich wahr ist.
    Er lässt mich nicht. Hält mich eisern fest. «Hör mir zu, Luisa. Bitte hör einfach zu.» Einen winzigen, verzweifelten Moment lang hoffe ich, er will mich nur auf die Probe stellen. Dann spricht er weiter. Versucht das Unerklärliche zu erklären. «Werwölfe sind stärker als Menschen, nicht so verletzlich. Es ist, als könnte einem nichts mehr etwas anhaben.» Ich verstehe. Sie sind gefährlich. Darum wollte er mich im Lager nicht haben. Ein Glück, dass er da war, um mich zu beschützen. Er hätte mich doch beschützt? Auch vor seinen Werwolf-Freunden? Moment mal. «Woher weißt du das so genau?»
    Er zieht mich ganz nah an sich heran, beugt sich über mich und spricht leise, direkt in mein Ohr. Sein warmer Atem streichelt meine Wange. «Das ist unser Weg. Das ist es, wie wir das Leben ertragen können. Wir lassendas Menschsein hinter uns. Haben statt Sorgen nur noch flache Tiergedanken. Statt Fingern Krallen. Fangzähne. Statt dünner Haut ein Fell.»
    «O Gott.» Ich schlage meine Hände vors Gesicht, als könnte ich damit die Wahrheit aussperren. Wir. Er hat «wir» gesagt, nicht nur von den anderen gesprochen. «Du auch?»
    Er nickt. Ich fühle seine Bewegungen an meiner Wange.
    Mein Herz stolpert und rast dann, als wollte es aus meiner Brust fliehen. Thursen ist ein Werwolf!
    Meine Stimme klemmt. «Du verwandelst dich wirklich in einen Wolf?» Ich dachte, er hätte mich beschützt vor den Wölfen, damals, am meinem ersten Tag im Lager. Stattdessen war er selbst einer von ihnen. Welcher? «Wer war das, der mich in den Fuß gebissen hat?»
    «Norrock.»
    «Norrock, so.» Ich plappere einfach drauflos. Vielleicht fühlt es sich normaler an, wenn man normal darüber redet?
    «Er wollte dich nur festhalten, damit du nicht losläufst und uns verrätst», erklärt Thursen.
    Ich schlucke. «Und du? Was hast du gemacht? Hast du mich auch angeknurrt?»
    «Ich war der, der dich zur Seite gestoßen hat, damit du aus der Schusslinie kommst. Der Norrock weggeschickt hat.»
    «Aha.» Es fühlt sich nicht normaler an. Ich sitze hier auf einem Baumstamm, und mich hält ein Wolf fest. Ein Werwolf in einem langen schwarzen Mantel.
    Mein ruhiges Vertrauen in Thursen, das immer da war, wird vom Schrecken unterspült, zerstört und weggewaschen.In seinem Stahlgriff erstarre ich zur Eisskulptur. Er hat mich gewarnt, mir gesagt, dass ich ihn nicht richtig kenne. Jetzt kenne ich ihn: Er ist gefährlicher, als ich mir je habe träumen lassen. Eine Sekunde bräuchte er, um sich zu verwandeln und mir die Kehle durchzubeißen, wenn er will. Sie sind gute Jäger, die Wölfe, ich weiß das, ich habe ihre Beute gesehen, das Blut gerochen. Ich beginne zu zittern, als sei ich in einen Schneesturm geraten. Kälte kriecht von meinen Fingerspitzen Richtung Herz. Meine Zähne klappern. Das ist mehr als Angst. Das ist abgrundtiefes Entsetzen, das sich in mir ausbreitet. Thursen ist gar kein Mensch. Eine Chimäre ist er, ein nächtlicher Albtraum.
    Thursen lässt mich los. «Schaffst du es allein zurück, oder soll ich dich bis zum Weg bringen?», fragt er.
    Ich springe auf in dem Moment, wo sich seine Arme von

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