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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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geblieben.
    «Was soll das, Luisa?», sagt sie.
    Was ist das? Eine Frage? Ein Vorwurf? Ich weiß, sie mag Thursen.
    «Versteh mich doch, Sjöll! Diesmal kann ich etwas tun! Mitsuchen! Rumlaufen! Ich muss nicht tatenlos zusehen, wie einer von mir geht, so wie bei meinem Bruder damals! Da konnte ich nur nutzlos an seinem Bett sitzen. Und zusehen, wie mir sein Leben durch die Finger rutscht wie trockener Sand.»
    «Ist das eigentlich Thursens Suche oder deine? Was willst du finden, Luisa?»
    «Na, seine Suche ist das! Er muss doch seine Vergangenheit kennen!»
    «Wirklich?!»
     
    Als ich in der Bahn sitze, muss ich darüber nachdenken. Vielleicht ist es ja doch meine Suche? Vielleicht bin ich der Grund, warum wir ruhelos durch die Stadt laufen. Ging es die ganze Zeit eigentlich, gegen alle Vernunft, darum, das zu finden, was ich verloren habe? Mein Haus, meine Vergangenheit mit meinem Bruder? Und das Grab, das ich nur ein einziges Mal gesehen habe: am Tag seiner Beerdigung? Wie es wohl aussieht? Hat mein Bruder überhaupt einen Grabstein? Oder liegen da immer noch die Blumenkränze von der Trauerfeier? Und einer davon, der ganz vorne, mitder verlogensten Schleife von allen:
Für unseren Stern. Von deinen Eltern. Wir werden dich nie vergessen.
    Und dabei haben sie für das Vergessen nicht mal eine Woche gebraucht. Dann waren sie weg, haben ihn zurückgelassen und sind seitdem nie wieder an sein Grab gekommen.

NEUN
    Ich habe in letzter Zeit viel zu wenig an Fabian gedacht. Heutekommeichspäterundbringewiederfrische Blumen für seinen Baum. Kleine violettblaue Astern.
    Als ich Fabians Namen, in die Rinde geschnitzt, mit dem Finger nachfahre, kommt Thursen zu mir. Schleppend sind seine Schritte, als hätte er Blei in den Schuhen. Ich halte immer noch Fabians Blumen in der Hand, die harten Stiele im durchweichten Papier.
    «Hallo», sage ich.
    «Hi», antwortet er. Auf seiner Stimme liegt schwer die Erschöpfung.
    «Was ist?», frage ich. «Bist du krank?» Ich lege ihm die Hand auf die Stirn. Kühl ist sie und glatt wie poliertes Holz. Bekommen Werwölfe überhaupt Fieber?
    Er schüttelt den Kopf. «Nur müde. Ich habe noch weitergesucht.»
    «Nachts?»
    Er nickt. Seine langen aschgrauen Haarsträhnen rutschen nach vorn und verbergen sein Gesicht. «Ich kann nicht denken, wenn so viele Leute unterwegs sind.»
    «Aber nachts ist es dunkel.»
    Er zuckt die Achseln. «Straßenlaternen.»
    «Und?»
    «Gib mir einen Moment.» Er sieht so grau aus, als würden ein paar der Nachtschatten immer noch an ihm hängen. Schweigend nimmt er mich in den Arm, lehnt seine Stirn eine Weile an meine, als schöpfe er Kraft. Dann flüstert er: «Ich glaube, ich war an der Lovis-Corinth-Schule. Als ich das Gebäude gesehen habe, kam mir alles so bekannt vor.»
    «Wie – bekannt?»
    «Wie in einem Film, den du schon hundertmal gesehen hast. Du musst nicht mehr gucken, du weißt immer schon, wie es weitergeht. Das Schultor war zu, aber ich wusste, wie es dahinter aussieht. Welche Farbe die Wände haben. Wie der frischgewachste Linoleumboden riecht, wie er unter meinen Schuhsohlen quietschen würde, wenn ich drüberlaufe. Hatte das Geräusch der Schulklingel im Ohr.»
    «Und das hast du dir nicht wieder für mich ausgedacht?»
    Er schüttelt den Kopf.
    Freude steigt in mir auf wie bunte Seifenblasen, und gleichzeitig brennen die Tränen in meinen Augen. Er wischt mir mit den Fingerknöcheln über die Wange, holt tief Atem und küsst mich. Seine warmen Lippen berühren meine. Bewegen sich auf meinen, als könnte er meine Freude trinken. Ich schlinge ihm meine Arme um den Hals und schicke meine ganze Freude zu ihm. Lasse ihn spüren, wie die Erleichterung in mir brennt. Mir ist, als wäre ich auf einem Schlitten abwärtsgerast. Immer schneller auf spiegelndem Eis, dem Abgrund entgegen. Doch heute Nacht hat Thursen für mich Sand auf das Eis gestreut. Ichweiß, wie die Fahrt enden wird, aber sie wird langsamer. Wenigstens ein wenig.
    Ich fühle nur noch. Thursen küsst meine Freudentränen weg. Ich habe meine Hände in seinen Haaren, um ihn näher zu ziehen. Streiche über seinen Nacken, hänge mich an seine Schultern.
    Thursen kennt seine Schule. Jetzt wird alles gut. «Gehen wir gleich morgen hin?», flüstere ich ihm ins Ohr. «Wenn wieder Unterricht ist? Vielleicht erkennen sie dich da wieder! Dann wissen wir, wer du bist, und brauchen das Foto mit dem Haus gar nicht!»
    Thursen schüttelt den Kopf.
    «Aber wieso denn nicht? Wäre doch der

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