Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen
ich, die ich immer nur Luisa bin. Ich lege mich auf die Seite, meine Hände in Thursens kratzigem Wolfsfell vergraben, meinen Kopf auf seiner Brust. Sein Herz klopft beruhigend und gleichmäßig. Es ist dunkel, ich sehe nicht mal Schatten hier drin. Er schläft nicht. Ich höre es an seinem Atem. Dann dreht er sich unter meinen Händen, streckt sich. Sein Fell wird glatter. Auf einmal liegt meine Wange auf dem Stoff seines Mantels, und er streicht mit seinen Fingern durch mein Haar.
«Musst du nicht gehen?», fragt er, die menschliche Stimme noch heiser vom Wolfsein.
Ich schlucke mir die Kehle frei. «Sjöll ist tot.»
Er zupft an einer Strähne meiner Haare. «Deine Eltern sorgen sich, wenn du nicht kommst.»
«Meine Eltern! Immer meine Eltern!» Ich bin es so leid! «Bin vielleicht auch mal ich dran? Wir hatten gerade angefangen, uns anzufreunden, Sjöll und ich. Und jetzt ist sie tot! Hast du eigentlich eine Ahnung, wie weh das tut?»
Seine Stimme ist immer noch ganz ruhig. «Klar weiß ich das. Ich kannte sie immerhin eine Weile länger als du.»
«Weißt du nicht!», sage ich und rolle mich von ihm weg. Lasse mich auf den Rücken fallen, damit ich mit den Händen reden kann, auch wenn es keiner sieht. «Du fühlst den Anfang von der Trauer, aber du gehst nicht bis zum Ende. Du fühlst nicht, wie das ist, wenn einem der ganze Brustkorb vor Kummer zerquetscht wird, bis man kaum noch atmen kann. Weißt du, wie viel Schmerz da für Menschen nochkommt, wenn du schon weggerannt bist und dich in deiner Wolfsform versteckst? Ich muss das aushalten. Alles. Bis zum letzten Rest. Erst bei Fabi und jetzt bei Sjöll.»
Seine Hand schmiegt sich an meine Wange. «Es tut mir so leid», sagt er.
Ich taste an meiner Wange und lege meine Hand über seine Finger. Soll ich fragen? «Warum wolltest du im Trauerkreis nicht, dass ich mich verwandele? Es wäre so einfach gewesen!»
Er stöhnt. «Nein, es wäre gar nicht einfach.»
«Weil man mit der Zeit zum Wolf wird?»
«Auch.»
«Weißt du was?» Ich rolle wieder auf die Seite und taste nach ihm. Vorsichtig, weil ich kaum etwas sehen kann. Aber das, was ich sagen will, kann ich nicht in die leere Finsternis sprechen. Muss seine Wärme spüren unter meinen Fingerspitzen. «Ich will lieber Wolf sein mit dir als allein Mensch. Ich will alles sein, wenn ich mich nur nicht wieder von dir trennen muss.»
Er greift meine Hand und küsst die Fingerspitzen. «Bleib Mensch, Luisa. Bitte.»
«Und wenn du bald ganz Wolf bist? Wie soll ich das allein schaffen?»
«Mach dir keine Sorgen. Ich bleibe noch ein wenig.»
«Du bleibst bei mir? Als Mensch?»
Da ist seine Hand in meinem Haar. Ganz sanft. «Ich passe auf, dass du dein Versprechen hältst.»
Verdammtes Versprechen. «Bis wann?»
«Bald brauchst du mich nicht mehr.»
«Darauf kannst du ewig warten! Verdammt, Thursen, ich werde sterben ohne dich!» Halt. Hier geht es doch nicht nur um mich. «Und du? Wirst du mich nicht vermissen?»
Ich fühle, wie er einmal tief atmet, als müsste er sich selbst Mut machen. «Wölfe vermissen nicht.»
Ich richte mich auf, packe etwas im Dunkeln, seinen Mantelaufschlag. Zerre daran, als könnte ich den dummen, krummen Gedanken aus ihm herausschütteln. «Thursen!»
«Bitte, Luisa!» Er löst meine Hände von seinem Mantel und hält sie sanft in seinen. «Ich habe irgendetwas furchtbar falsch gemacht, früher. Ja, ich weiß, ich kann mich nicht erinnern. Aber ich spüre es! Lade es nicht auch noch auf mein Gewissen, dass ich dich zum Werwolf mache! Bitte.»
Ich lehne meine Stirn gegen seine. «Lass mich heute Nacht hierbleiben.»
Er nickt.
Ich gähne. Ich will gar nicht, aber ich kann nicht anders.
«Schlaf, Luisa», flüstert Thursen.
«Ich bin nicht müde», nuschele ich.
«Doch.» Thursen zieht mich an sich und hält mich in seinen Armen. Ich spüre seine Lippen auf meinen, so schön und weich und sanft. Dass ich ihm irgendetwas Wichtiges sagen will, etwas, das ihm klarmacht, wie viel er mir bedeutet, ist das Letzte, woran ich in dieser Nacht denke.
Ich schlafe tief und fest. Sogar ohne Albträume, denn Thursen ist bei mir. Als ich aufwache, sickert das Licht des neuen Tages durch die Wurzeln und das Laubwerk hindurch zu uns in die Höhle. Thursens Wolfskopf liegt auf meinem Bauch, und er sieht mich an mit seinen glänzenden Tieraugen. Meine Hand riecht schwach nach Wolfspelz.Wahrscheinlich habe ich sie die ganze Zeit in Thursens Fell vergraben. Mich an ihm festgehalten,
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