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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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was ich dort finden werde. Er weicht meinem Blick nicht aus. Und die rasende Bestie, vor der ich mich so gefürchtet habe, finde ich in seinen Augen nicht.
    «Leider nicht», sagt Norrock. Seine Stimme ist ein Knurren. Wolfsknurren. Ein Teil von ihm ist immer noch der Wolf, dem seine Beute geraubt wurde.
    «Jemand muss was gehört und die Polizei gerufen haben», sagt Thursen.
    Norrock lehnt seinen Kopf an die Kioskwand und lacht leise. «Der Glatzkopf hat sich in die Hose gemacht vor Angst. Hast du gesehen?»
    «Vor Angst?» Sie reden, als hätten sie ihm einen Halloweenstreich gespielt. Einmal «Buh» und dann weg. Aber er hat geschrien vor Schmerzen. Sie haben ihn herumgeschleudert, zerbissen, ihm die Knochen gebrochen. Sein Arm, sein Bein, sein Gesicht war blutverschmiert. Mir wird schlecht, wenn ich an all das Blut denke. «Ihr wolltet den Jäger töten!»
    Thursen, der wegen eines vorbeifahrenden Autos noch tiefer in den Schatten zurückweicht, schüttelt den Kopf. «Nein, Luisa.»
    «Na klar!», sage ich. «Der Jäger hat Sjöll getötet, und jetzt sollte er sterben!
    Thursen dreht sich um. «Ja, für Sjöll sollte er bezahlen. Wir wollten   –»
    Jetzt redet er sich noch raus! «Ihr Mörder!»
    Flackert da etwas auf in seinem Blick? Oder ist es nur ein weiteres Auto, dessen Scheinwerfer sich spiegeln?
    «Hör mir zu, Luisa!» Er hebt die Hände, Handflächen zu mir. Als könnte er mich so beruhigen!
    «Du hast mich angelogen!», schreie ich und schlage mit meinen Fäusten auf Thursen ein. «Du fieser Mistkerl!»
    Er lässt mich einmal zuschlagen, dann hält er meine Hände fest. Ohne Anstrengung. «Wieso?», fragt er.
    Ich spucke vor Wut. Spucke ihm die Worte vor die Füße. «Du hast gesagt, ihr seid nicht gefährlich! Und ich habe dir vertraut! Sonst wäre ich doch nie zurückgekommen! Die Wölfe sind nicht gefährlich, hast du gesagt!»
    «Nein. Ich habe gesagt, du bist nicht in Gefahr. Das ist etwas anderes.» Er seufzt. «Oder wolltest du uns angreifen?»
    «Und wer euch angreift, muss sterben?»
    «Jedes Tier wehrt sich, wenn man es angreift.»
    «Tier?»
    «Wir sind Wölfe.»
    «Du bist ein Mensch! Und du bist ihr Anführer! Du hättest sie stoppen müssen!»
    Er lässt meine Hände los, als wüsste er nichts mehr mit ihnen anzufangen. «Sag mir auch nur
einen
Grund, warum! Sjöll ist tot. Dieser Mann hat sie erschossen. Weil sie als Wolf gestorben ist, gibt es keine Leiche. Keine Polizei. Keinen Richter. Niemand wird den Jäger bestrafen, wenn wir es nicht tun!» Thursen spricht ganz leise. Trotzdem bohren sich die Worte in meine Ohren wie Presslufthämmer. Ich halte sie mir zu, doch es schmerzt trotzdem. Der Sinn durchflutet meinen Körper und sticht in mein Herz.
    Thursen, der mich gerettet und beschützt hat, dieser Thursen ist, ohne zu zögern, bereit, zu verletzen und zu töten. Wie konnte ich ihm je so vertrauen? Wie konnte ich mich so sicher bei ihm fühlen?
    Es ist, als wäre meine Oase eine Fata Morgana. Als schwömme ich schiffbrüchig im Meer, und jemand versenkt die rettende Insel vor meinen Augen.
    Niemandem darf man vertrauen. Niemandem. Niemals.
    Ich muss weg hier. Ohne auf die Richtung zu achten, fliehe ich in die Nacht. Meine Schuhe klatschen auf die Gehwegplatten. Die Straßenbäume starren stumm. Ich bin allein unterwegs. Für Fußgänger ist es zu spät. Wo soll ich hin? Zu den Wölfen kann ich nicht. Ich denke an all dasBlut. Habe die Schreie des Jägers noch im Ohr. Und nach Hause kann ich auch nicht. Nicht mitten in der Nacht ohne Erklärungen.
    Ich komme an einer Nachtbushaltestelle vorbei. Ohne zu wissen, wohin, bleibe ich stehen. Warte. Allein. Eine graue Katze streunt. Will mir um die Beine streichen. Dann faucht sie. Riecht sie den Wolfsgeruch an meiner Kleidung?
    Der Bus kommt. Erleuchtet, unwirklich, vom Tage übrig geblieben. Zischend öffnen sich die Türen. Der Fahrer nickt mir freundlich zu, versucht einen Scherz, als ich meine Monatskarte vorzeige. Ich reagiere nicht. Die Türen schließen. Schaukelnd setzt sich der Bus in Bewegung. Ganz hinten sitzt ein Pärchen und knutscht. Haben sie sich in dieser Nacht erst gefunden? Eine Frau im Kostüm, zu grell geschminkt, lehnt ihren Kopf ans Fenster. Zwei Stationen weiter steigen zwei Jungs ein. Musik quillt aus ihren Kopfhörern an den Ohren vorbei in den Bus. Nur zischelnder Rhythmus.
    Ein großer Umsteigebahnhof. Die Frau steigt aus und das Pärchen. Ich dränge mich im letzten Moment mit durch die Tür. Draußen

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