Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen
Verwandlung helfen, sagt sie. Ich bin überrascht, dass sie mich nochmal drückt, bevor sie selbst in dem Loch unterm Brombeerstrauch verschwindet.
Thursen sitzt als Wolf in unserem Versteck, verwandelt sich aber im nächsten Moment zurück.
«Komm her», flüstert er, als ich zu ihm krieche und mich unter die Decke kuschele, ganz nah an ihn. Ich wünschte, es wäre heller, sodass ich ihn ansehen kann. So lasse ich meine Fingerspitzen über sein Gesicht gleiten und fühle ihn stattdessen. Er hat die Augen geschlossen. Als ich über seinen Mund streiche, merke ich, dass er lächelt. Er muss müde sein. Die ganze Nacht wach und schon die davor kaum geschlafen. Ich liege in seinem Arm, den Kopf auf seiner Brust, und lausche seinem Herzschlag. Mit den Fingern kämmt er meine Haare. Plötzlich wird seine Hand zittrig, sein Atem unregelmäßig.
«Was ist?»
«Müde.»
Er muss ja nicht wach bleiben. Ich bin auch morgen noch da. «Dann schlaf doch.»
Er seufzt. «Ich habe nur versucht, Mensch zu bleiben,ich habe dich so gerne im Arm. Aber es klappt nicht. Ich kann nur als Wolf schlafen. Tut mir leid, Luisa», flüstert er. Küsst mich flüchtig auf die Lippen. «Tut mir so leid.» Dann ist er Wolf. Sein Fell wärmt mich für den Rest der Nacht. Ich kraule seinen Pelz und träume davon, wie es wäre, seine glatte, seidige Haut unter dem Shirt zu spüren. Über seine Wange zu streichen und seinen Mund. Wenn er Mensch wäre. Mensch bliebe. Wenn ich seinen wirklichen Namen wüsste. Als ich mich umdrehe, um einzuschlafen, knistert der Stadtplan in meiner Tasche.
Der Schlaf ist zu kurz. Als ich erwache, bin ich allein, Thursen ist schon auf. Mir ist kalt, jetzt, wo seine Wärme fehlt, und mein Rücken tut mir weh vom harten Boden. Ich versuche, mich nach Wolfsart zu strecken. Die Gelenke knacken, aber es hilft nicht wirklich. Ich gehe hinunter zum See, um mich ein bisschen zu waschen. Havelwasser im Gesicht ist eklig, aber es macht wach. Der Thursen-Wolf sieht mich, verwandelt sich in einen Menschen und begrüßt mich zärtlich. Dann läuft er mit mir um die Bäume und treibt mir die letzte Nachtkälte aus dem Körper. Heute gibt es kein Feuer.
Thursen hat keinen Hunger, er hat schon mit den anderen Wölfen gefrühstückt. Ich versuche, nicht daran zu denken, was.
Während ich in meinen Taschen nach krümeligem Gebäck suche, das ich mir in den Mund schieben kann, stelle ich mir vor, wie ich mit Thursen in einem Straßencafé frühstücke. Croissants mit Aprikosenmarmelade. Rührei mit Schinken, von mir aus. Ein Thursen mit rosigen Lippen und Goldsprenkeln im Haar. Wie wohl seine richtige Augenfarbe war? Würde er Kaffee trinken oder Tee? Ichsehe seine schmalen Hände vor mir, wie er den Zucker in der Tasse verrührt. Wie er lächelt. Ich muss zum Kornelkirschenweg. Muss nach seinem wahren Namen fragen.
Eine Stimme, eine widerliche kleine Stimme in mir sagt: Und was, wenn es nicht funktioniert? Wenn er doch für immer zum Wolf wird?
Besser, ich erzähle niemandem, was ich vorhabe. Ich sage es Thursen nicht und sage es auch Karr nicht, als ich später mit den beiden ein Stück gemeinsam im S-Bahn -Zug stadteinwärts fahre. Neben Karr sitze ich, den Kopf ans Fenster gelehnt, und betrachte den Thursen-Wolf zu unseren Füßen. Ausgestreckt liegt er da, den Kopf auf den Pfoten, wie ein wohlerzogener Hund. Aber nur auf den ersten Blick. Wenn man genauer hinschaut, sieht man etwas von der Kraft des Raubtiers unter seinem struppigen Fell. Etwas Fremdes. Darum sitzen wir alleine im halbvollen Zug. Nur eine elegant gekleidete Dame mit einem Jack-Russell-Terrier an der Leine scheint nichts zu bemerken. Forschen Schrittes steuert sie von der Tür her auf uns zu und besetzt die Bank neben uns. Der kleine Hund kommt herübergetrippelt, zerrt an der Leine und kläfft Thursen an. Thursen hebt den Kopf ein paar Zentimeter und sieht den Hund an mit seinen schrägen gelben Wolfsaugen.
Ich will Thursen beruhigen, habe meine Hand schon ausgestreckt, aber Karr schüttelt nur müde den Kopf. Thursen muss nicht einmal knurren. Schon verstummt der Terrier, klemmt seinen Schwanz zwischen die Beine und verkriecht sich jaulend hinter den Beinen seiner Herrin. Die Dame funkelt Karr wütend an, aber der hat schon wieder den Blick gesenkt auf seine Hände, die er im Schoß gefaltet hat. Karr fährt heute das erste Mal seit Sjölls Todwieder als Mensch in die Stadt. Er musste gehen, denn die Wölfe brauchen Geld. Das letzte haben sie für Zrries
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