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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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springt mich die Kälte an. Ich zittere und denke daran, wie Thursen mir seinen Mantel umgelegt hat. Obwohl ihm dann selbst kalt war.
    Kein Thursen mehr. Kein Thursen, der seine Wärme und sein Essen mit mir teilt.
    Ich brauche ihn nicht. Ich kann selbst für mich sorgen. Der Imbiss hat sogar mitten in der Nacht noch geöffnet. Ich kaufe mir eine Packung Kekse und eine Currywurst. Heiß und scharf, vertreibt sie den Hunger in mir. Aber gegen die Leere kann sie nichts ausrichten.
    Kein Thursen mehr. Er hat mich angelogen. Die Wölfesind nicht gefährlich? Fast hätten sie einen Menschen getötet! Reicht ein Mensch, der so verletzt wird, noch nicht für das Wort «gefährlich?». Wie gefährlich ist «gefährlich» denn? Ich habe ihm vertraut, und Thursen hat mir etwas vorgespielt. Sein Wort hat nie etwas gegolten. Und mein Wort? Das Wort, das ich ihm gab, als wir uns das erste Mal trafen? Auge um Auge, Zahn um Zahn. Meine Versprechen gelten jetzt auch nicht mehr.
    Mein Leben gehört wieder mir. Ich kann damit machen, was ich will. So lange, wie ich will. Oder so kurz.
    Jetzt weiß ich, wohin. Ich nehme die nächste Bahn. An der Endhaltestelle steige ich in den Nachtbus. Im Wald muss ich laufen. Weit, aber das macht nichts. Ich habe Zeit. Den ganzen Rest meines Lebens. Der Mond scheint mir den Weg. Ich gehe zurück dahin, wo alles begann. Tu so, als hätte es Thursen nie gegeben, bring es zu Ende.
    Die Gaststätte am Fuße des Grunewaldturms ist verrammelt, als hätte dort nie ein Mensch gesessen. Ich gehe die Steinstufen hinauf, zu meinem Durchschlupf zum Turm. Bleibe davor stehen. Auf einmal ist es gar nicht mehr so einfach.
    Ich stehe da. Streiche mit den Händen über die raue Wand. Steige wieder hinunter, Schritt für Schritt, Stufe um Stufe. Das Pflaster endet, und ich habe Erde unter den Füßen. Ich gehe ein Stück weit zum Wald. Was kommt es noch auf Zeit an? Soll ich noch einmal hinunter zum See? Oder soll ich erst die Sterne zählen? Den Kopf in den Nacken gelegt, lehne ich an einem kahlen Baum und sehe in den Himmel. Dort oben das Sternbild kenne ich, es ist der Große Wagen. Ich wünschte, er nähme mich mit.
    «Ich wusste, du würdest kommen.» Thursens Stimme, rau von rechts. Irgendwo aus dem Dunkel neben mir.
    Nur Mensch? Oder ist er wieder das dunkle Etwas, das auf dem Parkplatz Sjölls Mörder fast zerfetzt hätte? Ich kann seine Augen nicht sehen.
    Ich hebe einen Knüppel auf. Feucht ist er, grün-glitschig. Wiege ihn in den Händen. Ein Kinderspielzeug, zu leicht, um mich gegen einen Werwolf zu verteidigen. Trotzdem werde ich es versuchen. «Komm nur her», rufe ich in die Finsternis. «Ich habe keine Angst vor dir!»
    «Warum solltest du auch. Wovor solltest du noch Angst haben. Du bist doch sowieso hier, um zu sterben, oder?» Ich höre seinen Mantel rascheln. Ahne seine weichen Schritte. Er kommt auf mich zu.
    «Das kannst du doch nicht machen!», schreie ich. Meine Stimme quietschig vor Tränen. «Wie kannst du einfach wieder da sein, als wäre nichts gewesen!» Ich schlage den morschen Stock auf die Steine, dass er zersplittert. Schleudere den Rest von mir.
    «Luisa!» Seine Stimme ist so sanft. Mit einem Schritt ist er bei mir. Legt die Arme um mich und zieht mich an sich. «Es tut mir leid. Du solltest das nicht sehen.»
    Ich finde ein Tempo in meiner Tasche und putze mir die Nase. «Wartest du hier schon lange?»
    «Macht man das nicht so? Wenn man nicht weiterweiß, geht man an den Ausgangspunkt zurück. Hier war unser Ausgangspunkt.»
    Ich schniefe und nicke. Was bleibt mir übrig, wenn ich ohne ihn nicht sein kann?
    Ich weiß nicht, wer wen küsst. Manchmal, wenn einem die Worte fehlen, ist Küssen leichter als Reden. Seine Hand unter meiner Jacke streicht über meinen Rücken. Ganz nah zieht er mich an sich. Ich weiß, was seine Küsse bedeuten. Die Küsse, die er über mein Gesicht verteilt.Die Küsse, die auf meinen Lippen brennen. Schmecke, was er mir sagen will. Ja, er ist gefährlich. Und wenn er tausendmal gefährlich ist, mir wird er nie etwas tun. Nie. Bevor er mich verletzt, verletzt er lieber sich selbst.
    Ich klammere mich an seine Schultern. Fühle sein Herz klopfen, ganz nah an meinem, und atme seinen Atem. Küsse zurück. Will ihm sagen, dass ich nie ohne ihn sein will, nicht einen einzigen Tag. Doch als er leise meinen Namen flüstert, will ich gar nichts mehr. Nur noch ihn schmecken, ihn fühlen. Küssen. Endlos.
    Sanft beendet er unseren Kuss. Lehnt seine Stirn gegen

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