Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
fühle es brennen, so heiß ist sein Griff. Er gibt sich auch keine Mühe mehr, das blendende Leuchten in seinen eisblauen Augen zu verbergen. «Wo?»
Was soll ich denn jetzt tun? Ihn gehen lassen, wissen, dass die Werwölfe und die Shinanim aufeinandertreffen, und mir vor Angst die Nägel blutig beißen, weil ich keine Ahnung habe, wer von ihnen heil zurückkommt? «Ich sage es dir, wenn du mich mitnimmst!»
«Dich mitnehmen? Nach dem, was du dir gerade mit mir geleistet hast? Lieber fahre ich mit dem Teufel persönlich!»
Der Wolf in mir erwacht. Knurrt. «Vielleicht weiß der ja, wo das Treffen stattfindet!»
«Du stures Biest!», flucht Elias. Pfeift einen hohen Ton, den ich noch nie von ihm gehört habe. Irgendwie scheint der Ton nicht einmal aus ihm zu kommen. Er vibriert durch das Zimmer, kommt von den klirrenden Fenstern zurück. Lässt die Luft zittern und verändert die Atmosphäre um uns herum. Eine Sekunde lang frage ich mich, ob dieser Ton womöglich die Zeit anhalten kann, damit Elias vor den Werwölfen am Treffpunkt sein kann.
Als wir aus dem Zimmer kommen, sind die anderen schon in Stiefeln und Jacken. «Ein weiterer Überfall. Geht zu den Autos», befiehlt Elias ihnen und wirft sich seine Jacke über. «Los», sagt Elias zu mir, stößt mich vor sich her, die Treppen hinunter, nach draußen zum Auto und schubst mich auf den Beifahrersitz. Als er den BMW gestartet hat, das Gaspedal ungeduldig durchtritt, dass der Motor aufheult wie ein wütendes Tier, fragt er noch mal: «Wohin?!»
«Spionageanlage», sage ich. «Ich weiß nicht, wo das ist.»
«Aber ich. Auf dem Teufelsberg.» Und er beschleunigt, dass ich in den Sitz gedrückt werde.
Wir jagen zum Teufelsberg. Warum treffen sie sich gerade da? Der Teufelsberg ist kein natürlicher Berg. Der Teufelsberg, das sind die Trümmer des zerbombten Berlins. Hier sind sie begraben, die Reste der Häuser und Wohnungen, die Reste der Lebensträume. Elias kennt den Weg. Zwingt das Auto in viel zu hoher Geschwindigkeit durch die kurvigen Straßen. Ich halte mich am Sitz fest, um nicht hin- und hergeschleudert zu werden. Im Spiegel sehe ich die anderen Shinanim in einem rasenden Konvoi folgen. Schon taucht hinter den Bäumen die verlassene Abhöranlage auf. Wie eine Sammlung riesiger weißer Blasen auf Säulen thront sie über dem Berg. Darunter verborgen waren die Satellitenantennen, die im Kalten Krieg Berlin belauschten. Jetzt sind sie leer wie Hüllen von Insekteneiern.
Dort irgendwo sind sie, die wütenden Werwölfe und ihre Beute: die Typen, die Sjöll auf dem Gewissen haben und Haddrice und Rieke auch.
Elias fährt, bis die Straße endet, und lässt das Auto dann stehen. «Bleib im Auto, Luisa!», ruft er mir zu, bevor er hinausspringt und mit irrwitziger Geschwindigkeit den Berg hinaufrennt. Die anderen folgen ihm, ebenso rasch.
Wie kann Elias denken, dass ich im Auto bleibe, wenn er dort oben auf Thursen trifft? Ich habe sie alle verraten, erst Elias und seine Shinanim und jetzt die Werwölfe. Wenn einer von ihnen getötet wird, ist es meine Schuld! Wütend knalle ich die Autotür zu. Renne. Der Atem brennt mir in der Lunge, und trotzdem bin ich so entsetzlich langsam! Die Shinanim sind schon längst außer Sicht, zwischen den Baumstämmen verschwunden. Nicht einmal ihre Schritte höre ich mehr. Ich zwinge mich weiterzulaufen.
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34. Elias
Wir eilen hinauf. Sind endlich ganz oben auf dem Trümmerberg. Jetzt nicht daran denken, dass unter uns eine zerbombte, zerfallene Stadt liegt. Die lebenden Menschen oben in diesem seltsamen Gebäude brauchen unsere Hilfe! Wir hören sie schreien, brüllen, dazwischen erklingt Wolfsknurren. Noch einmal denke ich daran, wie ich mir geschworen habe, alle Menschen zu beschützen. Alle Menschen, egal, was sie irgendwann in ihrem Leben falsch gemacht haben, egal, ob ich sie kenne oder nicht. Kein Mensch soll sterben, wenn ich es verhindern kann!
Wir rasen die Treppen hoch, an Graffiti und heraushängenden Kabeln vorbei, und mit knirschenden Schritten hinweg über zerbrochenes Glas. Folgen dem Kampflärm, den Schreien und dem Knurren der Wölfe. Sie müssen direkt unter der Kuppel sein. Dann sehen wir die Kämpfenden vor uns. Der Wind pfeift und jault hier oben wie ein Poltergeist. Wir verabreden uns mit Handzeichen, schwingen uns hinauf ins Gerüst, über das eine zerrissene Plane gespannt ist.
Dann springen wir von oben herab mitten zwischen sie. Der einzige der Wölfe, der nicht in
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