Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
Doch was folgt, ist kein heiterer Sonnenschein. Die Wut war mein Schild, jetzt liegt meine Seele bloß. Und schmerzt entsetzlich.
Thursen zieht seine Decke über uns.
«Ich liebe dich», sagt er, streicht sanft, ganz sanft jetzt, mit dem Finger über meine Wange. «Vergiss das nie.» Seine Fingerspitzen sind feucht. Und da merke ich, dass es meine Tränen sind, die er weggewischt hat. Ich liege in seinen Armen und weine darum, dass es unsere unbeschwerte, glückliche erste Nacht zusammen nie mehr geben wird. Wir wollten unser neues Leben feiern. Doch jetzt wird das, was er getan hat, uns beiden folgen, wohin wir auch gehen.
«Ich liebe dich.» Ich wundere mich, wie leicht sich das sagt. Und dass, gegen jede Vernunft, das Vertrauen in ihn immer noch da ist. In den, der mir gerade gesagt hat, dass er einen Menschen auf dem Gewissen hat. Meine Tränen wollen nicht trocknen. Ich bin zu Tode erschöpft. Und obwohl die Wahrheit über Thursen so schmerzhaft ist, dass meine Seele brennt, könnte ich nirgendwo anders sein in diesem Moment als in seinen Armen. Ich wünschte, ich wüsste, wie es mit uns weitergehen soll.
Eine Weile liegen wir stumm nebeneinander. Sprachlos. Ich spüre, wie seine Wärme durch mich fließt, an den Stellen, an denen unsere Haut sich berührt. Wie mein Herz ihn liebt und mein Kopf nicht damit klarkommt. Wie mein Verstand versucht zu verarbeiten, was ich eben gehört habe, und sich an den sperrigen Worten Töten, Wolfseid und Werwolfsgesetz verschluckt. Und wie langsam, ganz langsam, wieder ein bisschen Kraft in mich strömt. Wie der Rest der Welt, der nicht nur aus uns beiden besteht, wieder in mein Bewusstsein dringt. Als ich endlich aufhören kann zu weinen, trockne ich meine Tränen und winde mich aus seiner Umarmung. «Ich muss nach Hause. Es ist schon spät, und ich habe meiner Mutter versprochen, dass ich nach Hause komme. Außerdem ist morgen Schule.»
Thursen lässt mich los. Sein Blick ist wachsam. «Läufst du wieder vor mir davon?»
«Nein, Thursen. Aber ich versuche, das zu tun, was wir uns vorgenommen haben: ein normales Leben zu führen. Und dazu gehört, zur Schule zu gehen und Versprechen zu halten, die ich meiner Mutter gebe. Außerdem brauche ich ein bisschen Zeit. Du kannst nicht verlangen, dass du mir so etwas erzählst und ich lächle und stecke das einfach so weg.»
«Für dich waren Werwölfe immer so etwas wie Menschen auf einem Campingausflug, oder? Aber nicht nur die Form ändert sich, wenn man vom Mensch zum Tier wird. Es beeinflusst deine Gedanken. Luisa, wenn man sich einmal entscheidet, Werwolf zu werden, kommt man nie zurück.»
«Das stimmt nicht! Du bist doch zurückgekommen. Du bist wieder Mensch.»
«Vielleicht doch weniger, als ich bisher wahrhaben wollte.»
«Was meinst du damit?»
«Vergiss es. Luisa, wenn du gehen willst, solltest du das jetzt tun. Sonst bekommst du gar keinen Schlaf mehr. Und ich will ja morgen endlich mein Zimmer streichen.» Er lächelt trotz alledem sein neues Lächeln. «Du raubst mir noch die ganze Kraft.»
Er küsst mich auf die Wange, dann suche ich meine Klamotten zusammen und schleiche leise, um seinen Vater und Agnetha nicht zu wecken, die Treppe hinunter. Wir küssen uns noch einmal, Thursen in Boxershorts und ausgeleiertem Shirt, das die Kratzspuren meiner Nägel überdeckt. Fast ist es, als wäre nichts gewesen. Und dann gehe ich hinaus, und Thursen drückt hinter mir leise die Haustür zu.
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10. Elias
Die Sonne ist längst untergegangen, doch die Stadt wirkt durch die unendlich vielen Straßenlaternen, Schaufensterbeleuchtungen und erhellten Fenster auch nicht viel dunkler, als sie tagsüber an diesem trüben Tag war. Als Autofahrer vergisst man leicht, wie schneidend kalt es sein kann, wenn man längere Zeit zu Fuß unterwegs ist. Zum Glück wusste ich, was mich erwartet, denn dies ist nicht die erste Nacht, in der ich durch Berlins Straßen laufe.
In den letzten Wochen haben hier wieder über ein Dutzend Autos gebrannt. Und von mindestens drei dieser Brände meine ich ziemlich genau zu wissen, wer dafür verantwortlich ist. Jetzt suche ich die Plätze ab, an denen man ihn gewöhnlich finden kann, um ihn zur Rede zu stellen.
Ich will ihn nicht anzeigen, ich hoffe, das wird nicht nötig sein. Irgendwann wird er, muss er einfach zur Vernunft kommen. Niemand kann auf Dauer so leben.
Hundertmal schon habe ich mir vorgenommen, jeden Kontakt abzubrechen, und jetzt bin ich doch wieder auf der
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