Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
bestimmt», murmelt der Blonde, das blutige Taschentuch ins Gesicht gedrückt. Selbst jetzt, wo er den Kopf gesenkt hat, ist er groß, viel größer als ich. Ich lege meine Hand an seinen breiten Rücken und schiebe ihn weiter. Die Leuchtschrift am Zugende läuft ein weiteres Mal durch: «Zug nach Ring. Nächste Bahnhöfe: Gesundbrunnen, Schönhauser Allee, Prenzlauer Allee.» Ich lasse mich auf die leere Bank neben dem Pärchen fallen. Von dort aus habe ich die drei Typen im Blick. Sie sind uns nicht gefolgt und haben anscheinend das Interesse an uns verloren. Der Blonde mit der geschwollenen Nase setzt sich mir gegenüber. Seine Jacke ist vorne mit Blut bekleckert.
«Nächster Halt Gesundbrunnen. Ausstieg links», sagt die freundliche Lautsprecherstimme.
«Du verwechselst mich mit jemandem!», beharrt er leise. Ich kann ihn kaum verstehen, seine Nase ist mittlerweile komplett zugeschwollen. Der Zug hält. Drei laut lachende Leute steigen ein und setzen sich hinter mich. Das könnten unsere Freunde sein, die ich gerade erfunden habe.
«Natürlich kennen wir uns nicht. Ich wollte nur nicht zusehen, wie sie dich fertigmachen!»
Er lehnt den Kopf gegen die kalte Fensterscheibe und schließt die Augen. «Einfallsreich.»
«Nein. Ich bin nicht einfallsreich. Den Trick mit dem ‹Opfer klauen› habe ich in der Schule im Anti-Gewalt-Training gelernt. Ich wusste nicht mal, ob er funktioniert. Was ist mit deiner Nase?»
Er nimmt das Taschentuch weg. «Sieht es schlimm aus?»
«Ja, ziemlich, blutet jedenfalls ganz schön.» Entschlossen stehe ich auf. «Ich ziehe die Notbremse, vielleicht erwischt die Polizei die dann im nächsten Bahnhof!»
«Nein. Lass!» Er legt mir die Hand auf den Arm. «Ich will lieber erst mal weg hier. Darum kann ich mich später kümmern.»
«Drei gegen einen! Die haben dir vielleicht die Nase gebrochen, und du willst sie laufen lassen?»
«Ja, ist doch meine Sache. Hast du noch ein Taschentuch?» Er nimmt es und wischt sich das Blut vom Kinn. Dann lehnt er sich wieder ans Fenster, das Taschentuch vor dem Gesicht.
«Hast du solche Angst vor denen, dass du sie nicht anzeigen willst?», frage ich. Leise, damit sie uns nicht hören, denn dahinten stehen sie immer noch. Der Dicke guckt zu uns rüber. «Meinst du, sie verfolgen dich?»
Er seufzt. Lächelt ein gebrochenes Lächeln. «Du bist wohl immer mutig, was?»
«Wenn ich gewusst hätte, dass du nichts gegen diese Typen unternehmen willst, hätte ich gleich die Notbremse ziehen sollen!» Der Wagen hält am Bahnhof. Ich recke den Hals. «Die machen keine Anstalten auszusteigen. Lass uns wenigstens den Zug wechseln, damit du nicht noch mehr abkriegst.»
Er nickt und steht auf. Wir gehen den Gang entlang zu einer weiter entfernten Tür, steigen gemeinsam aus. Schaffen es gerade noch, bevor die Türen wieder schließen. Wir bleiben auf demselben Bahnsteig, warten ein paar Minuten und steigen in den Zug in die Gegenrichtung ein. Ich frage ihn nicht, wohin er muss. Hauptsache, wir sind erst mal weg von diesen Schlägertypen.
Die Leute starren uns an, als wir einsteigen. Kein Wunder, so blutverschmiert, wie mein blonder Begleiter ist. «Du solltest unbedingt zum Arzt», sage ich, als wir sitzen. Jetzt weiß ich, was mich so beunruhigt hat. Er hat ein merkwürdiges Schimmern in den Augen. Ein fiebriges Glühen? Hoffentlich hat er nicht irgendwas Schlimmeres als eine gebrochene Nase. «Vielleicht solltest du lieber ins Krankenhaus in die Ambulanz gehen?»
«So schlimm ist es nicht, aber ich gehe gleich morgen früh zum Arzt. Sagst du mir noch deinen Namen und deine Adresse? Ich meine, falls ich doch noch zur Polizei gehe? Dann brauche ich dich als Zeugin.»
Er hört sich ganz vernünftig an. Also wohl keine Gehirnerschütterung oder so.
«Klar.»
Er nimmt noch ein Taschentuch von mir und hält es sich mit zurückgelegtem Kopf an die Nase, während ich meinen Namen und meine Adresse in sein Handy tippe. «Irgendjemand muss gegen solche Schlägertypen ja was machen. Wieso sind die überhaupt auf dich losgegangen?»
«Glaubst du, die brauchen einen Grund?»
Ich gebe ihm sein Handy zurück. «Und jetzt? Kommst du allein nach Hause? Ist dir schwindelig?» Dieses Taschentuch ist nicht rot. Offenbar hat die Blutung endlich aufgehört.
«Danke, mir geht es wieder ganz gut.»
«Vergiss nicht, zum Arzt zu gehen! Komm gut nach Hause!»
«Du auch.»
Vielleicht hätte ich ihn doch begleiten sollen? Das hätte mich wenigstens abgelenkt, denn sobald
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