Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
Hals. Ich will sie nicht zeigen, aber abnehmen kann ich sie auch nicht.
Elias wartet im Flur auf mich. Als ich meine Jacke übergezogen habe, fragt er: «Können wir?»
Ich nicke. Unten im Hausflur geht er vor und hält mir, ganz Gentleman, die Haustür auf. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Bestimmt ist es von ihm nur nett gemeint, aber ich lasse mir die Dinge nicht gerne aus der Hand nehmen.
«Ich habe dahinten geparkt», sagt Elias und zeigt ein Stück die Straße entlang. Auf den Platten des Gehwegs sind die halbkreisförmigen Spuren der Kehrmaschine zu sehen. Der kleine, bröselige Splitt knirscht bei jedem Schritt unter unseren Schuhen. Ich schiebe meine frierenden Hände in die Jackentaschen und frage mich, was Elias für ein Auto fährt. Ein Golf würde vielleicht gut zu ihm passen. Eins dieser unauffälligen Markenautos, neu genug um teuer zu sein. Ich kenne mich mit Kleidung nicht aus, aber seine Jacke wirkt genauso wenig billig wie sein Haarschnitt.
Dass er wirklich einen BMW Roadster fährt, glaube ich allerdings erst, als er auf den Autoschlüssel drückt und bei dem flachen, schwarzen Sportcabrio die Blinker aufblitzen.
«Das ist wirklich deiner?»
Er lächelt und hält mir die Beifahrertür auf. «Sagen wir so, ich darf ihn fahren.»
Ich rutsche auf die kalten Ledersitze und registriere erfreut, dass, sobald wir auf der Fahrbahn sind, die Sitzheizung anspringt. Ich lasse mich tiefer in die Polster rutschen, um mir Rücken und Beine zu wärmen.
Wir parken vor dem dicken Engel, und Elias führt mich zu einem der Tische. Ich schäle mich aus meiner Jacke und genieße händereibend die schwere, ein bisschen stickige Wärme. Auf einem Podest steht eine dicke, eindeutig weibliche Engelsfigur. Ein bisschen wirkt sie wie die Galionsfigur an einem Wolkenschiff. Ich betrachte die fein ausgearbeiteten Flügel und wende meinen Blick erst ab, als Elias schrappend den Stuhl für mich zurückzieht. «Jetzt weißt du, woher das Lokal seinen Namen hat», sagt er.
Er setzt sich mir gegenüber und bestellt für uns beide. Der Pfannkuchen schmeckt so gut, dass ich es nicht mehr bereue, dass ich meinen habe anbrennen lassen.
Es ist erstaunlich leicht, sich mit Elias zu unterhalten. Wir reden über die Schule, machen uns über die Engelsfigur lustig. Ein paarmal bringt er mich sogar zum Lachen.
«Was machst du denn sonst noch, nur Studium?»
«Ich habe viele Talente!» Er kramt in seinen Taschen. Dann zeigt er mir seine Hände. «Nichts, siehst du?»
«Und?»
Er reibt seine Hände. «Pass auf!», murmelt er und zwinkert mir zu. Dann greift er über den Tisch, zaubert ein Zwei-Euro-Stück aus meinen Haaren und lässt es mit schnellen und geschickten Bewegungen über die Finger seiner Hand laufen.
Ich lache. «Wie machst du das denn?»
«Ganz einfach.» Er versucht, die Bewegung langsam vorzumachen, und wir lachen beide, als das Geldstück herunterfällt.
Dann werden unsere leeren Teller abgeräumt, und Elias bestellt noch einen Kaffee für sich und Tee für mich. Als die Getränke vor uns stehen, sagt er das, was er vermutlich die ganze Zeit loswerden wollte. Sein Gesicht wird plötzlich ernst und eindringlich.
«Ich wollte mich unbedingt bei dir bedanken», sagt er. «Es war sehr, sehr mutig, wie du mir in der U-Bahn geholfen hast.»
Als wenn ich groß darüber nachgedacht hätte. «Was hätte ich denn machen sollen? Zugucken, wie sie dich verprügeln, und nachher das Blut aufwischen?»
«Der Zug war ja nicht leer. Alle anderen Fahrgäste haben genauso mitbekommen, was vor ihren Augen passiert ist, und keiner von ihnen hat etwas unternommen.»
«Das war es doch, was ich gemeint habe. Sie hätten nicht eingegriffen. Ich musste es selbst tun, oder ich hätte zugucken müssen, wie sie dich fertigmachen.»
Er lächelt. «Aber sie waren zu dritt, kräftig und ziemlich wütend. Du hättest dich nicht in Gefahr bringen müssen für mich, einen Fremden.»
«Mal ehrlich: Hättest du danebengestanden und zugeschaut?»
Er schüttelt den Kopf. «Nein.»
Ich nicke. «Siehst du.»
«Ich konnte noch nie wegsehen, muss mich immer in alles einmischen.» Er lacht. «Früher habe ich dafür oft ganz schön Ärger bekommen.»
«Wieso kriegst du für so was Ärger?»
«Da waren wir noch Kinder. Mein Bruder wollte etwas in einem Laden mitgehen lassen und hat es heimlich in seine Tasche gesteckt. Na ja, ich habe es ebenso heimlich rausgeholt und wieder zurück ins Regal gelegt. Glaub mir, als er es gemerkt hat, war
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