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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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ihr nicht widersprechen.

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    15. Luisa
    Im Wohnzimmer sitzt meine Mutter. Ich habe sie schon gehört, wie sie sich durch die Fernsehkanäle zappt. Gesprächsfetzen, die sich zu einem unsinnigen Nichts aneinanderreihen. Als sie mich in der Tür sieht, schaltet sie aus.
    «Tut mir leid für das Chaos in der Küche.» Ich setze mich neben sie auf die Couch.
    Meine Mutter raucht. Zieht an der Zigarette und stößt dann kleine Rauchwolken aus, versucht, sie nicht in meine Richtung schweben zu lasen. «Ist nicht schlimm.»
    Ich warte, dass sie weiterredet, mich fragt, wo ich gewesen bin, aber sie tut es nicht. Zieht nur stumm an ihrer Zigarette.
    «Ist dir überhaupt aufgefallen, dass ich weg war? Interessiert dich gar nicht, wo ich gewesen bin?» Ich halte das nicht länger aus, dieses dauernde Schweigen. Früher haben wir doch auch miteinander geredet! Alles habe ich ihr damals erzählt. Und heute? Sie weiß nichts über mich. So gerne würde ich ihr von Thursen und den Werwölfen erzählen. Und wenn ich das nicht kann, weil niemand Werwolfsgeschichten glaubt, dann zumindest von Elias, den ich in der Bahn vor einem Angriff gerettet habe. Und der mich zum Dank zu Pfannkuchen eingeladen hat. Meine Mutter würde wissen, was ich mit Pfannkuchen meine. Die flachen Dinger, die man in der Pfanne backt und die hier in Berlin Eierkuchen heißen. Wir haben doch mal so viel gemeinsam gehabt, und jetzt weiß ich nicht, wie ich beginnen soll. Sitze immer noch stumm da und betrachte die welke Grünpflanze neben dem Fernseher.
    «Ich habe heute mit Anja telefoniert», sagt meine Mutter statt einer Antwort.
    «Und? Wie geht es ihr?», frage ich. Erschrecke mich darüber, wie gelangweilt ich klinge. Dabei habe ich Anja wirklich gerne. Nicht nur Anja, ihre Töchter Lotti und Lilli auch. Manchmal vermisse ich es sehr, dass sie nicht mehr unter uns wohnen. Aber im Moment kreisen meine Gedanken nur um Thursen.
    «Ich werde hinfahren. Anja kann ein bisschen Hilfe gebrauchen.»
    «Ist sie mit dem Umzug denn immer noch nicht fertig?» Anja hat ein kleines Häuschen in Bärenklau geerbt. Ein paar Wochen vor Weihnachten kam der Möbelwagen und hat Anja, Lilli und Lotti mitgenommen. Eigentlich ist es gar nicht so schrecklich weit weg, man kann mit S-Bahn und Regionalbahn in zwei Stunden hinfahren. Bloß, früher konnten wir sie in zwei Minuten besuchen.
    «Ja, aber das Haus ist alt, da gibt es immer etwas zu tun. Sie will noch die Küche streichen und den Dachboden aufräumen.» Sie zieht noch mal an der Zigarette. Atmet den Rauch durch die Nase aus. «Die Wahrheit ist, ich kann nicht mehr.»
    «Was meinst du damit, du kannst nicht mehr?»
    Ihre Stimme ist auf einmal laut und schrill. «Ich kann nicht weiter zur Arbeit gehen. Ich kann nicht weiter kochen, Wäsche waschen und den Haushalt machen. Ich kann nicht mehr essen und nicht mehr schlafen. Weißt du, dass ich bei jedem Klingeln des Telefons zu Tode erschrecke und mir erst nachher einfällt, dass der schlimmste aller Anrufe mich ja schon erreicht hat?» Ihre Zigarette tanzt in bizarren Gesten durch die Luft. «Weißt du, dass ich jede Nacht aufwache und durch die Wohnung laufe? Zu deinem Zimmer schleiche und horche, ob du auch noch atmest? Zurückgehe ins Wohnzimmer, um dich nicht zu wecken, und fast verrückt werde in der stillen Wohnung?»
    Zum ersten Mal seit langem sehe ich sie mir an, richtig an. Bemerke die tiefen Augenringe unter dem dicken Make-up. Wie Nachtschattensicheln liegen sie auf ihren Wangen. Ob sie schon lange nicht mehr schläft? War sie deshalb im KaDeWe so komisch? Sie fängt meinen Blick auf.
    «Ich weiß, dass ich schlimm aussehe. Ich weiß, dass ich dir zu wenig zuhöre, nicht genug für dich da bin. Ich habe mir solche Mühe gegeben, zu funktionieren und die Familie zusammenzuhalten, aber jetzt schaffe ich es einfach nicht mehr.» Sie quetscht die Zigarette im Aschenbecher aus und sucht nach einem Taschentuch. «Ich habe gedacht, es wäre leichter, wenn wir nicht jeden Tag alles vor Augen haben, was uns an Fabi erinnert, seinen Schulweg, seine Spielsachen, sein Zimmer. Aber stattdessen ist alles nur noch schlimmer geworden. Jens ist weg, und ich habe Angst, dich auch noch zu verlieren. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll!»
    Ich muss schlucken, habe keine Ahnung, was ich darauf antworten soll. Ich habe mich so daran gewöhnt, allein mit meiner Trauer um meinen Bruder zu sein, war so wütend auf meine Eltern, die versucht haben, ihn komplett

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