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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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ich noch einmal umdrehe. Auf einmal habe ich Angst. Woher weiß ich, dass sie zurückkommen wird? Wer sagt mir, dass sie nicht vielleicht ebenso plötzlich, ebenso sinnlos aus meinem Leben gerissen wird wie mein Bruder damals?
    Ich muss noch einmal zu ihr, ich kann nicht einfach so aus dem Haus stürmen und sie ohne Abschied wegfahren lassen, während ich in der Schule bin. Ich gehe in ihr Schlafzimmer und berühre sie vorsichtig an der Schulter. «Ich wollte nur noch mal tschüs sagen!», murmele ich, als sie mich verschlafen anblinzelt. «Grüß Anja!»
    Als wenn es etwas ändern würde, wenn ich noch mal mit ihr spreche. Ich kann keine Schutzzauber weben.
    Dann bin ich aus der Wohnung. Renne der verstrichenen Zeit hinterher, bis ich atemlos in die U-Bahn falle.
    Nach der Schule habe ich nur kurz Zeit, mir etwas zu essen zu machen und meine Hausaufgaben zu erledigen, dann steht Elias schon vor der Haustür, um mich abzuholen. Mit dem Ton des Summers setzt die Angst vor dem Krankenhaus wieder ein, die ich den ganzen Schultag lang weggedrängt habe.
    Doch ich zwinge mich zu lächeln, als ich aus dem Haus trete. Elias soll nicht merken, wie ich mich fühle. Er begleitet mich zu seinem Auto, das ein paar Meter weiter am Straßenrand parkt. Zwei Jungs stehen davor und bewundern es. Nur unwillig treten sie zur Seite, als Elias mir die Beifahrertür öffnet. Mutig und etwas zu laut wollen sie wissen, wie schnell er von null auf hundert beschleunigt und ob man das Dach wirklich ganz aufklappen kann.
    «Jetzt im Winter ist mir die Sitzheizung wichtiger», sagt Elias lachend und lässt mich einsteigen.
    Während er die Tür geöffnet hat, ist die Kälte ins Auto gehuscht. Ich verkrieche mich im Sitz und drücke meine Hände zwischen die warmen Beine, bis die Heizung wieder arbeitet. Das Autoradio spielt ein Lied, zu dem ich mal auf der Grillparty eines Klassenkameraden getanzt habe. Damals, als wir noch in Hamburg wohnten. Danach gab es ein Gewitter. Alle wurden nass bis auf die Haut, und ich war eine Woche erkältet. Ich tauche erst aus meinen Gedanken auf, als wir vor der Schranke am Eingang zum Klinikgelände halten. Elias nickt dem Pförtner zu, der die Schranke öffnet, rollt aufs Klinikgelände und parkt wie selbstverständlich dort. Vielleicht darf man das, wenn man so ein teures Auto fährt?
    Er steigt aus und öffnet mir die Tür, noch bevor ich den richtigen Hebel erwischt habe, es selbst zu tun.
    Dann stehe ich vor dem Klinikum, vor dem der Schnee restlos geräumt ist. Es könnte Winter, Sommer, Herbst sein. Der Boden aus Betonplatten sieht kalt und grau aus wie an jedem anderen Tag. Das Grauen steigt in mir auf, sammelt sich in meinem Magen und gerinnt zu einem schmutzigen, zackigen Eisklumpen.
    Elias ist hinter mir. «Na, dann los!», sagt er, ich spüre die flüchtige Berührung seiner Hand auf meinem Rücken, nicke und treibe die grausamen Gedankenbilder zurück. Das hier ist nicht Fabis Krankenhaus. Ich war noch nie hier, all das hat nichts mit mir zu tun. Ich kann dahinein gehen, sage ich mir und wage den nächsten Schritt. Die Türen gleiten leise surrend für mich auseinander. Noch ein Schritt. Es hat nichts mit mir zu tun. Ich schaffe das, kann den Geruch nach Desinfektionsmittel ertragen und die grüngekleideten Menschen. Entschlossen reihe ich einen Schritt an den anderen. Doch ich kann nicht aufhören zu zittern.
    «Geht es dir nicht gut? Ist dir kalt?», fragt Elias besorgt neben mir. «Dahinten ist ein Getränkeautomat, soll ich dir einen Kaffee holen?»
    «Nein danke.» Die Tür fährt mit leisem Rauschen hinter uns zu. Ich hole tief Luft und zwinge mich zu einem Lächeln. «Wo müssen wir hin?»
    «Da entlang.» Im Vorbeigehen grüßt Elias die Frau hinter dem Empfangstresen mit einem freundlichen Nicken und dirigiert mich zum Fahrstuhl.
    Die Kinderstation ist im dritten Stock. An den Wänden hängen Zeichnungen und bunte Basteleien. Genau wie damals in Hamburg. Erinnerungsstücke an die kleinen Patienten, die das Krankenhaus längst wieder verlassen haben. Geheilt, wenn sie Glück hatten.
    «Guck, ich bin der da.» Elias tippt auf einen Aushang neben dem Fenster zum Schwesternzimmer. «Die Regenbogenkiste» steht dort in bunten Buchstaben. Darunter ein Foto von Elias neben einer mit einem Regenbogen bemalten Kiste auf Rädern. Selbstbewusst lächelt er in die Kamera.
    «Ich besuche mit der Kiste die Kinder, die nicht aufstehen und ins Spielzimmer gehen können», erklärt er mir, noch ehe ich Zeit

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