Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
ist wieder Mensch. Ein Raubtierlächeln im Gesicht, kniet sie auf meinem Brustkorb. «Ich hasse Norrock!», grollt sie. Klettert von mir runter und zerrt mich auf die Füße. «Du kommst mit», sagt sie. «Und wenn du versuchst zu fliehen, hast du zwei Wölfe auf den Fersen. Mauriks und mir entkommst du auf keinen Fall. Dein Handy!»
«Was?»
«Gib mir dein Handy. Nachher rufst du noch wen an. Und jetzt sag nicht, du hast keins!»
Gehorsam ziehe ich mein Handy aus der Tasche und gebe es ihr. Sie schaltet es aus und kappt damit jede Möglichkeit für mich, Thursen wissenzulassen, wo ich bin.
«Und jetzt los!» Eine gefühlte Ewigkeit stößt sie mich vor sich her. Der Mann, Mauriks, folgt ihr. Ich klettere über morsche Baumstämme und stolpere über unebenen Boden.
Dann, als ich schon lange nicht mehr kann, befiehlt Haddrice: «Halt.»
«Hier?», frage ich. Sehe mich um. Da ist nichts. Kein Lager, keine anderen Wölfe, nichts. Erschöpft lasse ich mich ins Laub fallen.
«Hier ist der Punkt, an dem wir dir die Augen verbinden sollten», sagt Haddrice und zieht sich ihr schwarzes Tuch vom Hals.
«Was soll das?», schimpfe ich, als sie mich auf die Beine zieht und mir ihr Tuch von hinten um den Kopf schlingt. «Lasst mich nicht stolpern, ja?»
Sie nehmen meinen Wunsch ein bisschen zu ernst. Rechts und links greifen sie mich unter den Armen und schleppen mich mit sich. Meine Füße sind halb von der Kälte taub, halb brennen sie von dem endlosen Gewaltmarsch. Weiter und weiter zerren sie mich mit sich. Wechseln die Richtung. Immer wieder klingen meine Schritte anders. Knirschen auf nassem, schneedurchsetztem Laub. Rascheln im Gras. Das scharfe Patt-Patt blanker Erde unter meinen Füßen. Wieder Laub. Hastiges Knistern, als wohl ein aufgescheuchtes Eichhörnchen neben mir einen Stamm erklimmt. Wo bringen sie mich hin? Ins Wolfslager? Zu Norrock? Was erwartet mich dort? Dann, ich kann eigentlich schon lange nicht mehr weiter, hält Haddrice endlich an. Ich höre, wie sie witternd die Luft einzieht. Ihr Griff um meinen Arm verschwindet. Dafür hält Mauriks mich umso fester. Haddrice ahmt Wolfsheulen nach. Von irgendwo rechts von mir, aus dem Wald, ertönt Antwort. Mehrstimmig. Rau und voll, als würde das Heulen aus der Erde emporsteigen. Die Wölfe sind da. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Sie heulen. Ist das ihr Jagdgesang? Selbst Thursen musste zugeben, dass sie gefährlich sind. Was, wenn die anderen Wölfe inzwischen ebenso feindlich sind wie meine zwei Bewacher? Zwei kurze Heuler, tiefer als die zuvor, bringen sie alle zum Verstummen.
Als ich nach dem Tuch über meinen Augen greifen will, packt Haddrice wieder meinen Arm. Mauriks und sie drehen mich ein paarmal um mich selbst und zerren mich wortlos weiter. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind und in welche Richtung wir gehen. Wozu hat die Werwolfsfrau mir eigentlich mein Handy abgenommen? Ich könnte ja eh niemandem beschreiben, wo ich bin.
«Na, Angst?», fragt Haddrice. «Ich habe uns nur angekündigt. Das ist unser Gebiet, hier herrschen wir. Ist nicht gesund, ohne Ankündigung einzudringen!» Meine Beine tragen mich fast nicht mehr, doch meinen Bewachern ist das egal. Wir steigen in eine Senke hinunter, sie halten mich, damit ich nicht stürze. Ein Stück gehen wir auf gleicher Ebene. Dann beginnen wir zu klettern. Sie lassen meine Arme lockerer, damit ich nach Gras und Wurzeln tasten kann.
Ich muss nicht wittern wie Haddrice, ich kann es sogar mit meiner Menschennase riechen. Der Geruch hat sich verändert. Es riecht nicht mehr nur nach Baumrinde und verrottenden Blättern. Ist das nicht Rauch? Noch ein paar Schritte, dann halten Haddrice und Mauriks schon wieder an. Wolfspfoten nähern sich. Und endlich, endlich ziehen sie mir die verdammte Binde von den Augen. Ich blinzele.
Vor mir, die Krallen in den zerwühlten Waldboden gestemmt, steht Rawuhn. Der helle Wolf, der so oft an Thursens Seite war. Mauriks senkt den Blick, als Rawuhn ihm in die Augen starrt, und tritt beiseite. Ist Rawuhn jetzt auch mein Feind? Ich strecke dem Wolf zögernd meine Hand entgegen. Er beachtet sie nicht. Knurrt. Und als ich zurückweiche, langsam, weil Rennen keinen Sinn hat, springt er auf mich zu und reibt seinen Kopf an mir. Stupst mir seine Schnauze ins Gesicht, als ich mich vorbeuge, um ihn zu kraulen. Wenigstens er ist noch wie früher. Ich wünschte so sehr, er könnte noch Mensch werden und wir könnten uns mit Worten begrüßen.
Jetzt erst, als ein Teil
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