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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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am Menschsein festklammern mit aller Gewalt. Denke an Thursen. Atme tief. Dränge die Wolfsmacht zurück. Denke an Thursen, der mich jetzt ganz fest halten würde. An Thursen, der wüsste, dass ich den Kampf gewinnen kann. An Thursen, dem so viel daran liegt, dass ich Mensch bleibe. Doch Thursen ist nicht bei mir. Ich wäre nicht hier, wenn er mich nicht wieder allein gelassen hätte. Ich bin so wütend auf ihn, der sich davonschleicht. Thursen, der hundert Geheimnisse hat, die er nicht mit mir teilen kann. Er ist nicht da, mich zu halten. Und in dem Moment, wo ich Thursen verliere, wo der Gedanke an ihn so schmerzt, verliere ich den Kampf.
    Es lockt mich. So weich. Ich fühle den Strom der Verwandlung durch meine Finger kribbeln. Norrock und Haddrice heulen. Wolfsgedanken kommen von rechts und links herangebrandet. Wärme unter zottigem Pelz. Zusammenhalt. Verwässern meine Entschlossenheit, meine Ängste und lösen sie auf. Meine Abwehr bricht.
    Ein letztes Mal denke ich an Thursen. Vermisse ihn. Und dann fühlt sich mein ganzer Körper an, als würde er zusammengepresst, von eisenharter Luft in eine fremde Form geknetet. Meine Haut kribbelt. Schatten huschen über meine Hände, meine Arme. Prickeln, brennen eisig und werden Fell. Wieso fühlt sich der Boden unter Pfoten viel fester und sicherer an, als wenn man Hände daraufstützt? Ich scharre mit den Krallen. Wölbe meinen Rücken, sträube meinen Pelz. Schüttle die Kälte ab. Die Wölfe heulen, und ich stimme mit ein. Fühle die Laute in meiner Kehle aufsteigen.
    Vollbracht. Der Wald ist unser. Aufstehen, das erste Mal auf vier kraftvollen Beinen. Laufen geht so viel müheloser jetzt. Die Nachtluft ist voller Laute und Gerüche. Ich lerne mein Rudel ganz neu kennen. Jeder riecht anders. Lebensgeschichten, geschrieben mit Geruch. Und die Gefühle, die sie haben! Haddrices Misstrauen, so bitter, dass die Zunge trocken wird. Ein anderer mag mich, er heißt – nein, ich kann seinen Namen nicht schmecken.
    Wo ist der Dreadlocksjunge? Statt seiner sitzt dort ein sandgrauer Wolf. Flirrende Freude, er ist Wolf, zum ersten Mal. Dann ist es vorbei, und er wird wieder zum Menschen. Wütend schlägt er die Faust auf den Boden. Ich gehe zu ihm, stupse ihn mit meiner Schnauze an.
    Haddrice kläfft heiser. Knurrt mich an. Sie war es, die wollte, dass ich Wolf werde. Nein, sie wollte, dass ich bei der Verwandlung sterbe. Jetzt, wo ich Wolf bin, hasst sie es. Ganz steifbeinig ist sie vor Wut. Sie ist die Leitwölfin an Norrocks Seite. Ich war an Thursens Seite, als er Leitwolf war. Ihr Pelz ist gesträubt über den ganzen aufgewölbten Rücken. Ihr Schwanz stolz hochgereckt. Wenn ich Leitwölfin sein will, soll ich darum kämpfen, zeigt sie mir. Sie wird mir nicht freiwillig Platz machen. Sie schnappt. Kleine, drohende Luftbisse. Ich soll sie als ranghöher anerkennen, jetzt! Wut strömt durch mich. Sie hat mit meinem Leben gespielt! Ich will mich nicht ducken, mich nicht vor ihr in den Schnee werfen. Ich knurre zurück. Grabe meine Pfoten fest in den Boden und wölbe den Rücken. Fühle die Kraft meiner Kiefer, als ich die Zähne blecke.
    Ein Duft lenkt uns ab. Da kommt ein fremdes Tier durch den Wald auf uns zu. Ohne Zögern, ohne Angst vor uns Wölfen. Ich blähe die Nasenlöcher. Es riecht seltsam vertraut, wie eine Erinnerung aus Menschenzeiten. Da kommt es, nur ein Schatten im Nebel, zwischen den Stämmen hervor. Zweibeinig, mantelumschwebt.
    Ein Mensch! Norrock wandelt sich, Haddrice richtet sich auf und lässt den Wolf, der sie war, von ihren Schultern gleiten. Selbst Zrrie wird zum Mädchen.
    Der Mensch kommt direkt auf mich zu. Sieht mich an, greift in mein Fell und tastet nach der Silberkette, die um meinen Hals hängt.
    Mühsam zwinge ich mich aus der Wolfsgestalt.
    Vor mir steht Thursen.

[zur Inhaltsübersicht]
    18. Elias
    «Ich muss euch etwas erzählen» , beginne ich, als ich meine Leute im Frühstückszimmer unter dem Bild des Erzengels versammelt habe. Ich hätte es ihnen schon viel früher erzählen sollen. Wenigstens das. «Ihr solltet vielleicht wissen, wie ich Luisa kennengelernt habe.»
    «Das interessiert mich weniger als die Frage, warum du einen Menschen in unser geheimes Quartier bringst. Sie ist doch ein Mensch, ja?», fragt Konstantin.
    Sie sitzen um mich herum, entspannt auf ihren Stühlen. Mäßig interessiert. Ich habe einen Menschen kennengelernt, na und? Sie kennen wahrscheinlich Hunderte Menschen. Und doch nicht einen wie Luisa. «Ja, sie

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