Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
Filmkulisse?»
Er lächelt. «Das hält.»
Ich traue mich neben ihn, und gemeinsam sehen wir in den Innenhof hinab, der wie bei einem alten Schloss um einen steinernen Figurenbrunnen angelegt ist. Fernab jeder Hektik liegt er still da mit den kahlen Sträuchern und Bänken und ist doch nur einen Steinwurf von einer der größten Einkaufsstraßen Berlins entfernt.
«Was sollen die Behälter hier?» Auf dem Dachgarten verteilt stehen hölzerne Bottiche und Plastikwannen.
«Wir fangen Regenwasser auf.»
«Zum Blumengießen?»
Er lächelt. «Nein, zum Trinken und Kochen. Regenwasser hat besondere Kräfte, weißt du.»
«Und was für Kräfte sollen das sein?»
«Das Wasser hier hat die Erde nie berührt und noch die ganze Kraft des Himmels in sich.»
«Manchmal spinnst du schon ganz schön! Glaubst du wirklich an so etwas?»
«Den Himmel? Klar! Du etwa nicht?»
«Weißt du», sage ich und sehe hinunter, zum Glück ist diesmal die Brüstung vor mir, und ich kann nicht hinunterstürzen. «Ich mag es, mit beiden Füßen auf dem Boden zu stehen.»
Er lächelt. Sieht mich an und wartet. «Und?»
«Was und?»
«Du wolltest erzählen, warum du hier bist.»
«Meine Mutter ist bei einer Freundin. Ihr ging es nicht gut.»
«Tut mir leid.»
«Scheiße ist, dass mein Vater mich nicht alleine in der Wohnung lassen wollte. Meine Güte, ich bin fast achtzehn, kann ich da nicht für mich selbst sorgen?»
«Deine Eltern sind getrennt?»
«Ja, seit ein paar Monaten.»
«Und bei deinem Vater willst du nicht leben? Kommt ihr nicht gut miteinander klar?»
«Nicht mehr, seit … seit mein Bruder letztes Jahr an Krebs gestorben ist.»
«Darum also hasst du Krankenhäuser.»
Ich nicke. «Nachdem mein Bruder gestorben ist, hat mein Vater dafür gesorgt, dass wir Fabi so schnell wie möglich vergessen. Wir sind aus Hamburg hierher gezogen. Es gab Streit. Dann ist mein Vater ausgezogen. Aber ich habe nie gedacht, dass sie sich wirklich trennen. Ich dachte, sie versöhnen sich wieder. Aber jetzt hat er eine neue Freundin, sie leben zusammen.»
«Und jetzt weißt du, dass er nicht zu euch zurückkommen wird?»
«Er baut sich einfach eine neue, heile Familie. Seine Freundin hat einen Sohn, der genauso alt ist, wie mein Bruder jetzt wäre! Den toten Sohn und die müde, leergeweinte Frau hat er schon ersetzt. Und jetzt soll ich zu ihnen ziehen, damit er auch noch wieder eine Tochter hat? Mein Vater gehört in unsere Familie, die von meiner Mutter und mir, so kaputt sie auch ist.»
«Jetzt kämpfst du also zum zweiten Mal um deinen Bruder.»
«Ich weiß, dass Fabi tot ist! Aber er bleibt trotzdem mein Bruder! Ich werde doch davon nicht zum Einzelkind! Und schon gar nicht kann man meinen Bruder durch irgendeinen beliebigen Jungen ersetzen!»
«Es ist gut, dass du hergekommen bist. Wir finden schon eine Lösung. Für alles.»
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20. Elias
Ich kann es immer noch nicht glauben. Es darf einfach nicht sein! Aber irgendetwas war anders an Luisa. Ich habe es sofort gesehen, als sie vorhin vor mir stand. Und wenn ich ehrlich bin, was weiß ich eigentlich über sie? Aber ich hätte sie keinesfalls einfach wegschicken können. Nicht, nachdem sie mich um Hilfe gebeten hat. Obwohl es vollkommen verrückt ist, was wir hier veranstalten müssen, damit sie uns weiterhin für normale Menschen hält. Wir spielen ihr Alltag vor. Heute ist Sonntag, also haben wir eine Art «Familientag» veranstaltet: Kaffee getrunken, Spiele gespielt, statt zu trainieren. Noch habe ich den anderen nicht gesagt, dass Luisa bleiben wird. Ich weiß, es wird ihnen nicht gefallen. Sie werden es nicht verstehen. Ich verstehe es ja selbst nicht. Das Einzige, was ich weiß, ist, ich hätte sie nicht gehen lassen können.
Jetzt ist Luisa in ihrem Zimmer, um sich auf den Schultag morgen vorzubereiten. Gut, dass sie zur Schule will. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, ginge sie nicht. Ich fühle mich für sie verantwortlich. Warum ist sie zu mir gekommen? Und nicht zu ihrem Freund?
Was soll ich nur meinen Shinanim sagen? Wie soll ich ihnen erklären, dass ich einem Menschen erlaubt habe, in ihrer Mitte zu wohnen?
Als Luisa schläft und es still wird über der Stadt, gehe ich zu ihnen in den Trainingsraum. Weil wir so wenig schlafen müssen, hat der Tag für uns ein paar Stunden extra. Zeit, die sie nutzen, um aufzuholen, was sie heute – durch Luisa – verpasst haben. Selina und Raquel üben auf den Matten Stockfechten, Adrian schlägt wie ein
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