Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
ein zweites und drittes Mal verwandele, hier und auf der Stelle. Und jetzt lass mich endlich aussteigen!»
Da hebt er beschwichtigend die Hände und gibt die Tür frei. Ich stoße sie mit einem viel zu heftigen Schwung auf und springe hinaus. Komme auf dem Bürgersteig ins Taumeln, dass ich mich am Autodach festhalten muss. Ich stütze mich ab, atme tief und versuche, wieder zu mir zu kommen. Eben wäre ich beinahe gegen meinen Willen Wolf geworden. In mir zittert das Raubtier.
«Geht es dir gut?», fragt Elias, der ebenfalls ausgestiegen ist, Abstand hält und mich misstrauisch beäugt, als würde ich doch noch jeden Moment zu einem wilden Tier mutieren.
«Ja, natürlich geht es mir gut», fauche ich und schlage die Autotür zu. Vergrabe meine Hände in den Hosentaschen, damit Elias das Zittern nicht sieht.
Natürlich bemerkt er es trotzdem. Die Wachsamkeit verschwindet aus seinem Blick und macht Müdigkeit Platz. «Steig wieder ein, ich fahre dich zurück zur Schule», sagt Elias und wartet, dass ich mich wieder auf den Beifahrersitz setze. Diesmal kommt er nicht auf meine Seite, um mir die Tür aufzuhalten. Ich schnalle mich an, atme ruhig, und meine Hände hören langsam auf zu zittern. Der Wolf in mir hat sich wieder in seine Ecke verkrochen und schläft. Wenn ich versuche, nicht daran zu denken, was in mir haust, fühle ich mich fast wie die alte Luisa. Elias fährt mich zurück und parkt neben der Schule in einer der Seitenstraßen.
«Weißt du was?», beginne ich.
«Was?»
«Ich wünschte, wir alle, Menschen, Shinanim und Werwölfe, würden einfach nur in Frieden unser Leben leben.»
«Das wünschen wir Engelskinder uns schon lange.»
Plötzlich wird mir klar, wie absurd das alles ist. Werwölfe, Engelskinder und ich als einziger Mensch dazwischen. «Du hättest meine Hilfe in der U-Bahn überhaupt nicht gebraucht, nicht, Elias?»
«Doch, sehr. Sonst hätte ich nur die Wahl gehabt, mich entweder von diesen Leuten verprügeln zu lassen oder mich zu wehren und nachher erklären zu müssen, wie ich es mit allen von ihnen auf einmal aufnehmen konnte.»
Ich lasse meinen Gurt aufschnappen. «Danke, dass du gekommen bist und mir erzählt hast von letzter Nacht», sage ich. «Und du weißt, dass ich trotzdem nicht wieder bei euch einziehen kann, oder? Dass ich von Thursen selbst hören muss, was passiert ist?»
Elias sieht mich einen Moment lang zweifelnd an, scheint mit sich zu ringen, dann zieht er mich in seine Arme. Drückt mich an sich und flüstert in mein Haar: «Pass auf dich auf und komm zu mir, wenn du Hilfe brauchst. Versprich es mir!»
Ich nicke. Küsse ihn aus einem Impuls heraus auf die Wange. Vielleicht sehen wir uns nie wieder. Vielleicht sind wir Feinde, wenn wir uns das nächste Mal treffen. Dann nehme ich meine Tasche, steige aus dem Auto und sehe ihm nach, wie er davonfährt.
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30. Elias
Normalerweise bin ich der, der alles im Griff hat. Der anderen sagt, was sie tun sollen, kühl und überlegt. Selten habe ich mich so hilflos gefühlt wie jetzt. Ich kann nicht glauben, dass ich Luisa eben wirklich habe aussteigen lassen, damit sie in den Wald geht, die Werwölfe suchen. Vermutlich werden sie ihr nichts tun, versuche ich mich zu beruhigen, sie ist ja schon fast eine von ihnen. Doch genau da liegt das Problem. Wenn sie wirklich zum Wolf wird, wenn sie sich dem Rudel anschließt, werden wir ihr etwas tun, früher oder später.
Ich lasse ein paar Stunden verstreichen, ehe ich in unsere Zentrale zurückkehre. Dort herrscht fast schon wieder Alltag. Aber jetzt müssen wir damit leben, dass wir es nicht geschafft haben, diesen Jungen zu retten. Adrian hat gerade herausgefunden, dass es dem Mädchen wenigstens schon etwas bessergeht und sie bald entlassen werden kann. Da ruft Claudia mich an. Claudia, die in unserem Orden für die seelische Versorgung von Verbrechensopfern zuständig ist. Ich erzähle ihr, dass wir nicht verhindern konnten, dass das Mädchen verletzt wurde. «Wie sind noch viel zu wenige, um all die Menschen in einer so großen Stadt wie Berlin zu schützen.»
«Besonders wenn es stimmt, dass wieder einmal eine Schlägergruppe mit seltsamen Hunden euer Gegner war», sagt sie bedeutungsvoll.
«Nicht nur, aber ja.» Natürlich hat sich herumgesprochen, mit wem wir es zu tun hatten. Was habe ich denn erwartet?
«Wie gut, dass ich euch ein bisschen unterstützen kann.»
Ach so. Ich habe meine Aufgabe nicht zur Zufriedenheit erfüllt, und schon
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