Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
nicht einfach so gehen lassen, aber ich muss meine Gruppe nach dem Eindringen von Thursen beruhigen. Ach was, Eindringen. Es war nicht einmal ein Eindringen, er hat sich den Zugang nicht erkämpfen müssen. Er hat einfach an der Tür geklingelt, und Adrian hat ihn reingelassen. Woher hätte er auch wissen sollen, wen er da vor sich hat? Er ist ihm nie gegenübergestanden, so wie ich. Niemals zuvor ist er einem Werwolf begegnet, schon gar nicht
diesem
Werwolf. Selbst wenn er die Schatten um Thursen herum bemerkt hätte, er hätte nicht gewusst, was sie bedeuten. Außerdem waren die Schatten merkwürdig hell, heller fast als bei Luisa.
Thursen muss jedenfalls sofort gemerkt haben, wen er vor sich hat. Er weiß, wie er einen Shinan erkennt, weiß es ein bisschen zu gut. Trotzdem ist er mitten in unser Lager gekommen, um uns allen zu zeigen, dass Luisa ihm gehört. Ist er mutig oder unsagbar arrogant?
Ich versuche, die anderen zu beruhigen. Versuche, Felix davon zu überzeugen, dass vermutlich nicht schon in der nächsten Stunde das Werwolfsrudel unser Quartier stürmen wird. Vermutlich. Wer weiß, was Thursen getan hat, nachdem Luisa ihm zur Flucht verholfen hat. Sicherheitshalber verriegelt Felix die Wohnungstür mit beiden Schlössern, und Raquel kontrolliert die Fenster.
Adrian ist der Meinung, ich hätte dafür sorgen müssen, dass Luisa bleibt. Als Geisel. Das Schlimme ist, dass ich einen Moment lang überlege, ob er vielleicht recht hat.
Wir werden heute Nacht besonders aufmerksam sein müssen. Unsere Patrouillen durch die Stadt werden wir nicht aufgeben, aber eine zusätzliche Wache in der Wohnung abstellen. Wenn die Wölfe einen Angriff wagen sollten, werden sie uns nicht unvorbereitet finden. Jetzt sind wir gewarnt.
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27. Luisa
Ich stehe an der Bushaltestelle. Im Licht der Straßenlaterne schwebt meine Atemluft als feines Wölkchen davon. Wieder bin ich mit meinem Gepäck unterwegs. Warte darauf, dass über der ewigen Autoschlange endlich die breite Leuchtanzeige meines Busses auftaucht.
Als ich bei Thursens Haus bin, sind die Fenster dunkel. Schläft er schon? In letzter Zeit scheint er ewig müde zu sein.
Ich schließe die Haustür auf und trage vorsichtig mein Gepäck die Treppe hinauf, auf Socken, um kein Geräusch zu machen. Lasse meinen Koffer vor dem Zimmer stehen und schleiche mich hinein. Atme den vertrauten Geruch nach ihm, der mich an seinen Kuss erinnert. Soll ich ihn wecken oder mich einfach neben ihm ins Bett schummeln und hoffen, dass er in meinen Armen langsam erwacht? Ich lausche auf seinen Atem. Lausche und höre:
nichts.
Ich taste mich vor zu seiner Nachttischlampe und knipse sie an. Das Bett ist zerwühlt, aber leer. Ist er vielleicht noch einmal aufgestanden? Das Laken ist kalt. Es hat keinen Sinn, ihn im Haus zu suchen. Schon darum nicht, weil auf seinem Nachttisch ein hastig beschriebener Zettel liegt, der an mich gerichtet ist.
Luisa,
falls du inzwischen kommst,
geh nicht wieder weg!
Warte auf mich,
ich muss noch mal weg.
Tut mir leid. Ehrlich.
Bald bin ich zurück.
Ich denke an dich.
Immer.
T.
Er ist fort, und er muss mir nicht sagen, wohin. Wieder einmal stehen diese verdammten Werwölfe zwischen uns! Ich fühle mich, als hätte mich nach warmem Sommerwetter ein Gewitterguss überrascht. Statt Thursens Wärme ist hier nur ein leeres Haus.
Leer und still.
Ich warte. Warte auf ihn in seinem Zimmer, seinem unrenovierten, aufgegebenen Zimmer, damit ich wenigstens den vertrauten Geruch atmen kann wie eine Erinnerung an ihn. Lese eins von seinen Büchern, dann ein anderes. Höre seine Musik, leise, ganz leise, als wollte ich die Geister in diesem fremden, leeren Haus nicht wecken. Warte. Doch Thursen kommt nicht. Ich trete ans Fenster. Es ist stockdunkel draußen, schon weit nach Mitternacht.
Als Thursen eine weitere Stunde später, in der mir ständig die Augen zufallen, noch immer nicht da ist, ziehe ich meinen Koffer in sein Zimmer, hole meine Schlafsachen und Fabis Bild aus dem Koffer, und dann lege ich mich in sein leeres, kühles Bett.
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28. Elias
Ich trainiere gerade auf dem Laufband, versuche, mich durch ruhige, gleichmäßige Schritte von den Gedanken an Luisa abzulenken, als Konstantin mich anruft. Er und Raquel sind heute Nacht auf den Straßen unterwegs. Und es gibt Ärger in der Stadt. Menschen sind in großer Gefahr. Wir lassen die Wohnung Wohnung sein und machen uns alle auf den Weg. Zusammen mit Adrian
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